KRITIK: Change-Management ist Sisyphos-Arbeit – könnte man meinen. Ewig rollt der von den Göttern Bestrafte den Stein den Berg hinauf. Von wo er immer wieder herunter rollt. Frustrierend – oder?
„Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen,“ so der Philosoph Albert Camus. Der französisch-algerische Literaturnobelpreisträger (1957) hat gut reden, könnte man einwenden. Und gar mancher Change-Agent im Unternehmen fühlt sich zynisch verhöhnt. Wie war es einst mit Kurt Lewins Rat doch so bequem: Auftauen, verändern, wieder einfrieren. Diese Zeiten scheinen schon lange vergangen zu sein. Heute kommt man aus dem Verändern nicht mehr heraus: Das einzig Stabile ist der Wandel, stöhnen die Mitarbeitenden.
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Für Camus ist „das Absurde im Kern ebenjene Erkenntnis, dass das Leben keinen Sinn hat, aber dennoch gelebt wird,“ so Autor Tim Kreter (Change-Management als Sisyphosarbeit). Das klingt nach tiefer Verzweiflung. Nach Depression. Doch das Absurde kann Ausgangspunkt einer neuen Haltung werden: Sisyphos als Held des Absurden. Er ist nicht bloß stoisch (der Hinweis auf diese philosophische Richtung fehlt im Beitrag leider) und macht sein Ding, ohne zu murren. Im Gegenteil: „In dem Moment, in dem Sisyphos sich seiner Aufgabe bewusst wird, erhebt er sich über sein Schicksal.“
Ich rolle, also bin ich
Die Philosophen von René Descartes bis Albert Camus scheinen so ihre Schwierigkeiten mit dem Bewusstsein zu haben. Ich denke, wir sind da heute glücklicherweise ein paar Schritte weiter: „Menschen organisieren ihr Denken raum-zeitlich – und zwar szenisch, narrativ und sinngebend. Menschen beobachten sich nicht nur gegenseitig beim Beobachten. Sie beobachten sich auch selbst beim Beobachten.“ Dies schrieb ich in meiner Besprechung des Buchs von Jan Bleckwedel (Spotlight auf einen blinden Fleck). Camus scheint auf dem Weg dorthin zu sein, wenn er erkennt, dass er sich mental vom Schicksal distanzieren kann und damit Freiheit und Glück statt Resignation und Zynismus erleben kann. Unweigerlich muss man auch an Viktor Frankl und dessen Logotherapie denken. Doch fehlt der Bezug zum KZ-Überlebenden ebenfalls im Beitrag des Autors.
Dicke Kaliber für Change-Manager. Doch was will der „Künstler“ den in Unternehmen Werkelnden mitgeben? Wir wissen, dass die Mehrzahl der Change-Fälle – der Beitrag spricht von 70 Prozent – als gescheitert gelten. Was sollen Change-Manager nun aus diesem Beitrag lernen? Sollen sie das Verändern drangeben? Die Flinte ins Korn werfen? Oder „glücklich“ weiter machen? Autor Kreter führt nun eine Denkfigur Camus‘ ein, die hier weiterführen soll: die Revolte. „Der Mensch in der Revolte sagt wie Sisyphos ,ja‘ zu seinem Leben, und ,nein‘ zu dem jeweiligen äußeren Umstand“.
Also ich muss bekennen, ich bin nicht unbeleckt von Philosophie. Aber solche transzendentalphilosophischen Denkverrenkungen der Art „Ich ziehe mich selbst am Schopf aus dem Sumpf“ haben mich nie wirklich überzeugt. Ich erspare meiner Leserschaft meine vertiefende philosophische Gegenrede an dieser Stelle. Vielleicht haben sich einige philosophische Positionen schlicht überlebt und man sollte sie nicht wieder aufwärmen. Aber auch motivationspsychologisch mag mich die Revolte-Argumentation nicht überzeugen. Der mit Verve vorgetragene „Weg von“-Impuls verendet im vagen „Hin zu“. Damit ist kein Blumentopf zu gewinnen, das hat die Motivationspsychologie definitiv herausgearbeitet. Storch und Krause zeigen mit dem Zürcher Ressourcenmodell (Ganzheitliches Selbstmanagement) schon seit über 20 Jahren wie es besser gehen kann.
Und die Moral von der G’schicht‘
Was also tun mit der Aussage, Change-Management sei Sisyphos-Arbeit? Vielleicht verweisen auf den Job des Innovationsmanagers? Der Erfinder der Glühbirne, Thomas Edison, soll fast 9.000 Versuche unternommen haben, bis er die Glühlampe zur Marktreife entwickelt hatte. Oder sollte man es – nach all dem Philosophieren – einfach mal schlichter versuchen? Was, wenn es gar kein ultimatives Endziel des Veränderns gibt? Alles bloß Prozess … Dann bleibt aber immer noch dieses schöne Motto: Ein rollender Stein setzt kein Moos an. Und da bin ich dann zum Schluss doch mit Camus noch einig. Aber auch mit tibetischen Mönchen, die wunderschöne Mandalas kreieren – und sie anschließend wieder zerstören: „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“