INSPIRATION: Ein Unternehmensgründer blickt zurück auf die Entscheidung, vor 17 Jahren eine hierarchielose Organisationsform einzuführen. Sein Fazit ist positiv. Er warnt Nachahmer allerdings vor Naivität und Kurzatmigkeit.
Vloys wurde in den Niederlanden als Telekommunikationsanbieter gegründet. Mark Vletter (Selbstmanagement: Ein Erfahrungsbericht) beschreibt die Entwicklung – die Fehler, die Herausforderungen, die Erkenntnisse – entlang eines Phasenmodells. Das klassische Team mit einem Manager bildet dabei die Base Line. Und die erste Erkenntnis lautet: Führungskräfte sind in einer solchen Konstellation in der Regel überfordert.
Anzeige:
Die Arbeitswelt braucht agile Coachs, um Selbstorganisation, Innovation und neues Rollenverständnis zu implementieren. Die Neuerscheinung „Agiler Coach: Skills und Tools“ liefert für jeden agilen Coach eine beeindruckende Bandbreite an Grundlagen, Methoden und Werkzeugen für die Team- und Mitarbeiterentwicklung im agilen Arbeitsalltag. Zum Buch...
Phase 1: Selbstverwaltete Teams
Die Verantwortung und Zuständigkeit wechseln von der Führungskraft zum Team. Die Führung gibt den Rahmen vor (Teil-Autonomie), doch das Team interpretiert und füllt diesen Rahmen eigenständig aus. Solches ist seit den 1990er-Jahren (Gruppenarbeit) bekannt, bewährt und erfreut sich heutzutage unter dem Stichwort Agilität zunehmend neuer Akzeptanz.
Doch in der Umsetzung lauert die Tücke: Damit das Team sich gut selbst steuern kann, benötigt es Transparenz. Und die Kompetenz, mit der Datenlage souverän umgehen zu können. Das Team braucht ein übersichtliches und verständliches Dashboard (Des Kaisers neue Sprüche). Halbwissen und -können wären fatal.
Die nächste Zutat: Führungskräfte müssen abgeben. Und zwar nicht nur Arbeit, sondern auch Verantwortung. Sie müssen es wirklich wollen und tatsächlich tun. Im Zweifelsfall müssen sie sich auf die Zunge beißen und vor die Türe flüchten. Denn die Mitarbeitenden müssen diesen Ball auch aufnehmen. Da darf keine untergründige Angst vorherrschen, dass die Führungskraft doch gleich wieder rein grätschen und dem Team die Fehler um die Ohren hauen wird. Das Team muss auch Zugang zu allen Ressourcen haben. Dann wird es ernst.
Zielvorgaben, der Management-Klassiker, müssen ausgemustert werden. Ohne doppelten Boden und fingers crossed. Natürlich darf sich das Team selbst Ziele setzen und auch überlegen, mit welchen Kennzahlen man operieren will. Doch die Führungskraft hält sich auch hier zurück. So lehrt es das inzwischen populäre Framework OKR (Vom Kopf auf die Füße).
Trotzdem bleibt Führung wichtig, ja unerlässlich. Laissez-faire wäre hier ein fatales Missverständnis. „Die Hauptaufgabe der ehemaligen Managerin, des ehemaligen Managers besteht nun darin, für Klarheit zu sorgen und andere zu unterstützen.“
Phase 2: Selbst gestaltende Teams
Nun beginnen die Teams, nicht nur im Rahmen zu arbeiten, sondern diesen auch selbst zu gestalten. Hierfür hat sich das Rollenkonzept bewährt. Es ist viel granularer und flexibler als das alte Funktionskonzept. Eine Auseinandersetzung mit dem Thema Rollen führt auch (hoffentlich) dazu, dass man Personen und Rollen nicht vermischt, sondern differenziert (Selbstführung von Teams).
Als Organisationskonzept hat sich bei Voys Holacracy bewährt. Ab einer Unternehmensgröße von 25 Mitarbeitenden kommt man kaum um ein solches Konzept herum, so Autor Vletter, der allerdings nicht auf Kritik am und Probleme mit diesem Konzept (Die Hyperformalisierung von Organisationen) eingeht.
Phase 3: Selbstverwaltete Organisation
Früher ausgeklammerte, denen „da oben“ vorbehaltene Themen werden eingemeindet und durch Systeme und Prozesse ersetzt. Vergütung beispielsweise oder Strategie, all das ist integriert. Oder zumindest ist man auf dem Weg dahin, so Autor Vletter.
Wenn solche zentralen Funktionen wegfallen, muss man sich gelegentlich auch etwas einfallen lassen. Wie schafft man es, eine Lernkultur am Leben zu erhalten, wenn es keine Führungskräfte oder Personalentwickler mehr gibt? Es braucht folglich eine Kultur der Anregung und des Muts: Riskante Entscheidungen müssen getroffen werden, Fehler müssen gemacht werden, damit man aus ihnen lernen kann. Vertrauen muss gegeben und erhalten werden. All das benötigt viel Kommunikation. Vielleicht mehr als in klassischen Organisationen. Der Autor benennt drei essenzielle Fähigkeiten:
- „Ja, und“-Haltung statt „Ja, aber“
- Konsent (Zustimmung) statt Konsens
- Loslassen, Vertrauen
Das Fazit des Autors ist klar: „Insgesamt gibt es mehr Liebe für die Arbeit und die Menschen, mit denen und für die man sie macht. Und das spürt man.“
Der Unsinn mit der hierarchiefreien Organisation wabert dauernd. Soziale Gruppen ohne Hierarchie gibt es nicht. In einem Unternehmen, dass Gewinn erwirtschaften muss, lebt von Hierarchie. Es ist ein die Frage: In welcher Gestalt gibt es Hierarchie?