INSPIRATION: Das Thema Personalauswahl ist ein Dauerbrenner. Das wundert nicht. Man wundert sich allerdings immer wieder darüber, wie hartnäckig sich in der Praxis Mythen und Vorurteile dazu halten. Und erklären kann man sich das eigentlich nur so, dass gewisse Fraktionen an Entscheidern, lieber weiter diesen Mythen wie „gesunder Menschenverstand“ oder „Ich bin der Boss“ anhängen, weil sie sich sonst eingestehen müssten, auch bei anderen Entscheidungen im Leben kläglich danebenzuliegen. Aber wer will sich solches schon eingestehen? Vor allem, wenn er Entscheider ist … Bescheidenheit ist eine Zier.
Doch hier kommt die gute Nachricht (Bestandsaufnahme und Erweiterung um digitale Verfahren bei der Personalauswahl): Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema kommen zu einem korrigierten Bild davon, welche Methoden der Personalauswahl Berufserfolg hervorragend vorhersagen können. Das ist nicht mehr ganz neu (Inkompetenzkompensationskompetenz). Aber wird hier auf den Punkt gebracht. Und das eröffnet für die o.g. Leichtmatrosen, die sich nun eventuell aus Reue doch noch tiefer mit der Materie beschäftigen wollen, aber den Aufwand an statistischer Kompetenz scheuen, einen schnellen Erkenntnisgewinn.
Anzeige:
CYQUEST kombiniert wissenschaftlich-fundiertes psychologisches Know-how mit State-of-the-Art-Webdesign und -Programmierung. Wir sind spezialisiert auf die unternehmens- und hochschulspezifische Erstellung sowie Anpassung von Lösungen aus den Bereichen Online-Assessment, SelfAssessment, Berufsorientierungsverfahren u.a. Zur Webseite...
Rehabilitierung des strukturierten Interviews
Während man all die Jahre beim Thema Eignungsdiagnostik das hohe Lied auf Intelligenztests sang, wird nun zurückgerudert. Sie liegen nur noch auf Platz 4. Es ist das strukturierte Interview, das die höchste prognostische Validität aufweist (r=0,42). Und das kann auch eine nichtstudierte Fachkraft hinkriegen. Gegenüber dem unstrukturierten, „puckeligen Verwandten“ (prognostische Validität von r=0,19, das ist nahe an Zufall) zeichnet sich das strukturierte Interview durch allerlei Regelhaftigkeit, aber vor allem durch Anforderungsbezug aus.
Wer also schon einmal etwas von Schulers multimodalen Interview gehört hat, das drei Domänen, Merkmale, Situationsbezug und biografische Erfahrung, miteinander verknüpft, kann den Königsweg einschlagen. Übrigens liegen auf den Plätzen 2 bis 4 Job-Wissenstests (r=40), Biografische Informationen (r=38) sowie Arbeitsproben (r=33). Das passt doch.
Einäugige Könige?
Interessante Nebenbemerkungen entnehmen wir dem Beitrag in der PERSONALquarterly: Die Persönlichkeit, manche Personalauswählenden stürzen sich auf das Thema wie die Maus auf den angeräucherten Speck, rangiert eher im Mittelfeld. Und „interessant ist bei der Persönlichkeitsmessung die bessere Eignung von kontextspezifischen Skalen, die den jeweiligen Arbeitskontext bei der Erfassung mit berücksichtigen.“ Na, das ist ja ein Ding: trauen sich die Diagnostiker auch mal aus dem Reinraumlabor ins Freie?
OK, ich lästere. Denn Situation Jugdement Tests (SJT) sind in den letzten Jahren zunehmend in Mode gekommen. Dabei geht es darum, Kandidat:innen in hypothetische, alltägliche soziale Situationen zu schicken und entscheiden zu lassen. Doch deren prädiktive Validität bewegt sich auch lediglich im mittleren Bereich.
Andere Nebenbemerkungen der Autoren haben es allerdings echt in sich: „Im Wesentlichen ergibt sich gerade bei der Personalauswahl aber das Problem, dass nur diejenigen mit den besten Ergebnissen in den Testverfahren eingestellt werden und man entsprechend gar nicht sagen kann, wie gut die Leistung der Bewerber mit niedrigen Testergebnissen tatsächlich gewesen wäre, weil sie gar nicht die Chance erhalten haben, sich im Unternehmen zu beweisen.“ Das sitzt! Das klingt nach Nachsitzen für die Zunft der Personaldiagnostiker.
Digitale Revolution?
Digitale Verfahren haben in der Personalauswahl nicht erst seit, doch mit der Corona-Pandemie Auftrieb erhalten (Personalauswahl: Overengineering vermeiden). Doch was hat die Forschung hierzu zu sagen? „Studien zur prädiktiven Validität digitaler Verfahren sind überraschend rar und ein robuster Vergleich mit ihren traditionellen Pendants ist noch nicht möglich. Was sich aber recht durchgängig zeigt, ist die geringere Akzeptanz von digitalen Verfahren durch die Bewerbenden.“ Das klingt eher nach Blindflug und nach Pfeifen im Walde. Digitalisierung kann ja kein Selbstzweck sein. Aber wenn es billig ist, wird das sicher wieder Scharen anziehen – wie die Mausefalle mit dem angeräucherten Speck. Wie sagte schon Oscar Wilde: „Die Leute kennen heute den Preis jedes Dinges, aber von nichts den Wert.“