2. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Postanaloges Misstrauen

INSPIRATION: Wenn man Teilnehmer in Führungsseminaren fragt, ob sich alle Menschen in ihrem Unternehmen wirklich engagieren bzw. ob alle wirklich motiviert sind, erntet man Kopfschütteln. Fragt man hingegen, wer aus der Runde zu diesen Menschen gehört, meldet sich niemand. Es sind immer die anderen. Was tun?

Stefan Kaduk und Dirk Osmetz beschreiben in einem Beitrag der managerSeminare (Menschenbilder! Unbeirrt positiv), dass sich zwar alle Welt von der Notwendigkeit einer Vertrauenskultur überzeugt gibt, aber die Realität völlig anders aussieht. Der offensichtliche Kontrollwahn sei mehrheitlich vorbei, Selbstverantwortung lautet das Zauberwort. Aber es gibt ein subtiles Misstrauen hinter dem jovialen Duzen. Die Mitarbeiter müssen nicht mehr jeden Schriftsatz zur Unterschrift vorlegen (was nach meinen Erfahrungen allerdings noch längst nicht Geschichte ist), dafür werden „in endlosen Zoom-Meetings immer weitere Entscheider auf höheren Ebenen „ins Boot geholt“. Ist ja viel einfacher in Zeiten digitaler Kommunikation, so kann man noch unmittelbarer kontrollieren, ohne es so zu nennen.


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Kunstvoll getarnte Misstrauenskulturen“ nennen das die Autoren. Die Begründung für dieses Misstrauen ist seit Jahrzehnten stets die gleiche: Jeder kennt Einzelfälle („individuell-anekdotische Begegenheiten“), in denen Vertrauen missbraucht wurde, diese dienen zur Rechtfertigung der Kontrollmaßnahmen und -systeme. Man orientiert sich beim Führungsverhalten als auch bei den Berichtsstrukturen und Spielregeln an den 10% der schwarzen Schafen statt an 90% derjenigen, die ihren Job gut machen. Ob das in Ihrer Organisation auch so läuft, erkennen Sie sehr leicht immer dann, wenn etwas schiefgeht. Dann werden die Regeln geändert, um diese Fälle zu vermeiden. Und zwar in Richtung von mehr Kontrolle.

Wer hingegen wirkliche Selbstverantworung will, dem bleibt nichts anderes übrig, als seine Grundhaltung zu ändern. Die „organisationale Default-Einstellung“ kann nur so aussehen, dass grundsätzlich jedem Mitarbeiter vertraut wird. Oder besser: Dass jedem Mitarbeiter zugetraut wird, die mit ihm vereinbarten Aufgaben im Sinne der Organisation zu bewältigen. „Zutrauen ist eine Bringschuld, Vertrauen ist die Resultante“ (Götz Werner).

Wie das in der Praxis aussehen bzw. wie sich ein solches Zutrauen in konkreten Regeln und Vereinbarungen ausdrückten kann, erläutern die Autoren an einem sehr eindrucksvollen Beispiel. Ein Betreiber von Senioren- und Pflegezentren orientierte sich bisher wie alle anderen an den Vorschriften zur Dokumentation jedes einzelnen Handgriffs der Pflegekräfte – mit der bekannten Folge, dass diese mehr Zeit in die Dokumentation als in die eigentliche Pflege steckten.

Die Botschaft hinter dieser Vorgabe: „Wir trauen euch nicht zu, all das gewissenhaft zu machen, für das Ihr eingestellt seid, also müsst Ihr jeden Schritt dokumentieren.“ Die offizielle Begründung lautet stets, dass man sich rechtlich absichern muss, was natürlich auch stimmt.

Was wäre, wenn man an Stelle dieses strukturierten Misstrauens signalisiert, dass man jeder Pflegekraft zutraut, die vereinbarte Leistung zu bringen? Diese Überlegung führte zu einer Umkehrung der Dokumentationspflicht. Nun wird nur noch das vermerkt, was von der festgelegten Pflege abweicht. Drei Jahre dauerte es, bis das neue Dokumentationssystem vollständig umgesetzt war, inklusive vieler Schulungen. Das Vorgehen scheint rechtlichen Anforderungen zu genügen, und tatsächlich gab es bisher noch keinen Haftungsfall, die Pflegequalität hat sich nachweislich verbessert.

Die Kernfrage für jeden Verantwortlichen lautet also: Was traue ich meinen Mitarbeitern zu? Und wie schaffe ich die Voraussetzungen, dass aus Misstrauen zuerst Zutrauen und schließlich Vertrauen entsteht? Wie an dem Beispiel zu erkennen, muss man dafür auch mal als gesetzt angenommene Vorgaben hinterfragen und kreativ umdeuten.

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