REZENSION: Alica Ryba / David Ginati / Daniel Pauw / Stephan Rietmann (Hrsg.) – Professionell coachen – konkret. Das Fall- und Reflexionsbuch: Vom Erfahrungswissen zur Handlungskompetenz. Beltz 2014.
Dies ist der Nachfolgeband von „Professionell coachen“ aus demselben Verlag. Der Zusatz zum Titel „konkret“ bezeichnet sehr treffend, um was es in diesem Buch hauptsächlich geht: Konkrete Coaching-Prozesse zu beleuchten, dem Coach bei der Arbeit über die Schulter zu schauen, an der Supervision des Coachs lesend beteiligt zu werden – und auch darum, implizites Wissen zu explizieren.
Anzeige:
Produktiv und kreativ bleiben und morgens wieder mit Freude und Elan in den neuen Tag gehen. Zur Webseite...
Um die 250 Seiten dieses Buchs sind daher konkreten Fällen gewidmet, in denen in der Regel ein Herausgeber den anderen supervidiert. Dies geschieht recht ausführlich und transparent, ohne ausufernd zu wirken. Die Entwicklung von Hypothesen kann so nachvollzogen werden, aber auch, wie alles dann doch manchmal anders kommt: Sackgassen, Winkelzüge, Schleudersitze und Durchbrüche werden plastisch erlebbar. Und der Leser kann sich so seine Gedanken machen, mehr noch, er kann nach jedem Schritt konkrete eigene Hypothesen aufstellen und eigene Anschlussinterventionen planen und mit dem weiteren Verlauf des Falls vergleichen. Das ist sehr hilf- und lehrreich – für Novizen, aber auch für schon länger tätige Praktiker. Und es zeigt sehr schön, dass Coaching anspruchsvoll ist und keinesfalls mit Tool-Klempnerei verwechselt werden darf.
Community of Practice
Die Basis für diesen Praxisteil liefert nach einem Geleitwort der Kasseler Beratungsforscherin Heidi Möller und einer Einleitung der Herausgeber die Bildungsforscherin Bernadette Gold. Sie legt dar, wie mithilfe von Erkenntnissen aus der Expertiseforschung Coaching durch Experten-Novizen-Dialoge professionalisiert werden kann. Denn während Novizen beispielsweise stärker auf Oberflächenmerkmale fokussieren, orientieren sich Experten mehr an Tiefenstrukturen. Expertise kann durch fallbasierte Reflexion in einer Community of Practice aufgebaut werden.
Die folgenden Ausführungen von Christoph Schmidt-Lellek zum Dialog im Coaching knüpfen hier konsequent an. Die Rolle des Coachs als Mitdenkender und Fragender verträgt sich eben schlecht mit der des Besserwissers. Deshalb schreibt er den Praktikern, den französischen Philosophen Lévinas zitierend, den Merksatz von der „unendlichen Andersheit des Anderen“ ins Stammbuch.
Reflexion
An diese Grundlegung schließt sich ein Beitragsblock zum Thema Reflexion an. In ihrer Einleitung hebt Mitherausgeberin Alica Ryba die Themen Achtsamkeit und Lerntagebuch hervor. Siegfried Greif und Hagen Schubert betrachten das Thema Reflexion auf der Basis des von Greif vorgelegten Wirkfaktorenmodells. Sie legen die Bandbreite an Befragungs- und Beobachtungsmethoden dar, die Licht in die Interaktion von Coach und Klient bringen können. Wer für sich in Anspruch nimmt, ein Coaching-Künstler zu sein, wird sich zunehmend auf die Finger schauen lassen müssen. Coaching-Prozesse sind sehr wohl beschreib- und analysierbar – und damit professionalisierbar. Der Beitrag von Andreas Bergknapp hebt den Stellenwert von Supervision für die Professionalität hervor. Leider fehlen hier Ausführungen zum Gruppen-Coaching, die über die Basics des Formats der Kollegialen Beratung hinausgehen. Mitherausgeber Stephan Rietmann gibt Hinweise zu den vier gängigen Fokussierungen fachlicher Reflexion: Methodik, Klient, Beziehung, Selbstreflexion. Zum Abschluss dieses Theorieblocks stellt Karen Zoller in ihrem lesenswerten Beitrag das Innere Team als Instrument professioneller Selbstreflexion vor.
Die Herausgeber haben einen schönen Abschluss des Buchs gefunden: Zwei von ihnen (Pauw und Ryba) interviewen die beiden Coaching-Nestoren Gunther Schmidt und Bernd Schmid über eine Buchstrecke von 25 Seiten. Nicht nur, wie alles anfing und sich entwickelt hat gerät in den Blick, sondern auch die gegenseitige Bezugnahme und die Offenheit und Selbstkritik erfreut den Leser. So wird noch einmal am konkreten Beispiel deutlich, dass und warum Wertschätzung und Bescheidenheit wichtige Tugenden im Coaching sind.
Dieses Buch ist, wie schon sein Vorgängerband, eine wichtige Veröffentlichung, die in keinem Coach-Bücherregal fehlen sollte. Da Weiterbildung mit der sogenannten Coach-Ausbildung nicht abgeschlossen ist, sondern einen lebenslangen Prozess darstellen sollte, kann es getrost auch alten Häsinnen und Hasen vielfältige Anregungen geben.