INSPIRATION: Die Geschichte hatte was: Dank der Digitalisierung stehen alle Geschäftsmodelle auf dem Prüfstand, Disruption lautete die Überschrift, und schnell hieß es, dass sämtliche Branchen umgekrempelt werden und das Ende der großen etablierten Unternehmen angebrochen ist. Bekannte Beispiele machen das alles scheinbar plausibel. Aber ist es auch so?
Eben nicht, erklärt ein Professor der London Business School im Harvard Business Manager (Wie haben Elefanten tanzen gelernt?). In vielen Branchen hat es in den letzten drei Jahrzehnten gar keine Disruption gegeben. Und es ist fraglich, ob sie überhaupt stattfindet. Ein paar Zahlen: In der Liste der umsatzstärksten US-Unternehmen (Fortune 500) gibt es seit 1995 gerade mal 17 neue Namen, der Rest war in irgendeiner Form vorher schon am Markt. Weltweit sieht es ähnlich aus: Da sind es gerade mal zwölf. Insolvent gingen in den USA 35, weltweit nur 10 der Top-Unternehmen. Natürlich fusionierten auch etliche oder wurden verkauft, und einige waren Ausgliederungen oder Neustrukturierungen existierender Unternehmen.
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Keine Spur vom dramatischen Sterben der „Elefanten“
Was das zeigen soll? Von einem dramatischen Sterben der „Elefanten“ kann nicht die Rede sein. Tatsächlich massiver betroffen von dem technischen Wandel waren – nicht überraschend – vor allem die Technologie/Medien- und die Telekommunikationsbranche sowie der Einzelhandel. In allen anderen Branchen hat sich wenig getan. Vor allem dort, wo man massive Veränderungen prophezeit hat (Versicherung, Bildung, Wirtschaftsprüfung und Beratung) haben sich die Platzhirsche behauptet. Warum?
Weil sie offenbar in der Lage sind, passende Antwortstrategien zu finden. Die bekannteste ist das Zurückschlagen. Kennt man: Große Unternehmen gründen auf einmal digitale Geschäftsbereiche. Das aber, so der Autor, ist nur dann sinnvoll, wenn eine neue Technologie tatsächlich die Existenz bedroht, was aber gar nicht so häufig ist. Die Erfolgsaussichten sind auch nicht allzu hoch: Es ist schwierig, die neuen Wettbewerber in ihrer Kernkompetenz zu schlagen – so wie Microsoft Googles Suchmaschine nicht bezwingen konnte.
Alternative sind: Stärken ausbauen, statt sich auf das gleiche Schlachtfeld zu stürzen. So wie Disney sich erst einmal gegen das Streamingeschäft entschied, sondern Pixar und Marvel übernahm und sein Filmangebot ausbaute. Auch eine Möglichkeit: Den Rückzug antreten, eine defensive Taktik. Das könnte z.B. bedeuten, sich mit anderen zusammen zu tun wie Konica und Minolta oder wie Nokia, das den Konkurrenten Alcatel-Lucent übernahm.
Und schließlich Umorientieren: Man versucht, die eigenen Kompetenzen auf andere Märkte zu übertragen so wie Fujifilm, wo man sich auf die Themen Gesundheit und Bildgebung konzentrierte. Oder der Filialhändler WHSmith, der sein Filialgeschäft stärkte, sich auf Standorte wie Flughäfen und Bahnhöfe konzentrierte und neben Zeitschriften verstärkt margenstarke Produkte wie Schokoriegel und Getränke verkaufte.
Gar nichts zu tun, ist die schlechteste Variante, paranoid zu werden ebenfalls. Genau das droht natürlich, wenn der Berater warnend den Finger hebt und die Mär von der Disruption erzählt. Typisch hierfür ist, dass er mit anekdotischen oder bekannten Beispielen daherkommt und man geneigt ist, diese zu verallgemeinern.
Drei Fähigkeiten
Ähnlich sehen es Wissenschaftler der IMD (Goliaths Vorteil). Interessanter Hinweis: Eine lange Zeit galt Größe als das Nonplusultra, dann kamen die Digitalisierung und die Start-ups, und plötzlich galt Größe als Schwäche. Die Forscher haben 38 Unternehmen der Global-500 identifiziert, die besonders erfolgreich waren bei der Abwehr der Herausforderer und drei Fähigkeiten der Etablierten gefunden, die ihnen von Vorteil sind:
- Sie nutzen Komplexität zu ihrem Vorteil – wobei hier zwischen guter und schlechter Komplexität unterschieden wird. Letztere hat was zu tun mit Bürokratie, Machtspielen und überflüssiger Arbeit, erstere trägt zur Steigerung von Umsatz und Gewinn bei. Wie? Sie gehen auf die unterschiedlichen Bedürfnisse ihrer Kunden ein, was sie aufgrund ihrer vielfältigen Möglichkeiten besser können als kleine Unternehmen. Wie üblich bei solchen Artikeln wird das an einem (allerdings ziemlich interessanten Fallbeispiel) gezeigt (die indische Tochter von Unilever).
- Sie halten langfristig ihren Kurs – wechseln also nicht ständig die Strategie und schielen nicht ausschließlich auf die Quartalszahlen. Natürlich gibt es auch dafür ein Fallbeispiel (der Landmaschinenhersteller John Deere and Company).
- Sie nutzen ihre Beziehungen, um ihr Geschäft anzupassen, und die Veraussetzung hierfür sind Kunden, die ihnen vertrauen. Dieses Vertrauen haben sie sich über viele Jahre erarbeitet, ein Vorteil, den Start-up nicht bieten können. Dazu wird der Transportkonzern A.P.Moller-Maersk angeführt.
Noch ein interessanter Aspekt: Wenn diese etablierten Unternehmen sich für gravierende Änderungen und Strategiewechsel entscheiden, dann versuchen sie es nicht, indem sie ihre kreativen Köpfe und Innovationsprojekte in die Prärie verbannen, „sondern lassen sie innerhalb des Kerngeschäfts agieren.“
Was lernen wir daraus? Um die Großen müssen wir uns keine Sorgen machen, die berühmten Beispiele der Marktführer, die vom Markt verschwunden sind, sind die Ausnahme. Ob das auch für mittelständische Weltmarktführer gilt, denen man auch immer wieder ein böses Erwachen prophezeit hat? Mir scheint eine Erkenntnis wichtig: Jedes Unternehmen sollte schauen, wie es die Digitalisierung zur Optimierung der Prozesse nutzen kann. Es muss sich aber keineswegs komplett neu erfinden und auch nicht automatisch fürchten, von kleinen Start-ups über Nacht vom Markt verdrängt zu werden. Die oben aufgeführten Strategien zeigen gangbare Wege auf.