INSPIRATION: Der Einsatz neuer Technologie bringt nicht nur Vorteile. Das wird oft übersehen. Der Zoom-Boom zu Corona-Zeiten lieferte dafür Anschauungsmaterial zu genüge. Auch die Nutzung digitaler Tools im Change-Management bleibt eine zweischneidige Angelegenheit.
„Geht doch!“ So tönten viele in Corona-Zeiten. Wobei ihnen konkret auch nicht viel anderes übrig blieb, muss man ergänzen. Denn die Summe der Videokacheln auf einem Monitor macht noch lange kein Team. Wenn’s schlecht läuft, und oft läuft’s schlecht, ist das Ganze eben deutlich weniger als die Summe seiner Teile. Inzwischen ist das gut erforscht. Und wir wissen, was wichtig ist und was man vermeiden sollte (Wessen einziges Instrument ein Hammer ist).
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Schon seit Jahrzehnten lehrt der Soziotechnische Systemansatz, dass Mensch, Technik und Organisation (MTO-Konzept) gemeinsam verändert werden müssen. Sonst droht eben eine solche, unwuchtige Schieflage – ein Technosolutionism. Die Autoren (Digital transformieren) betrachten nun den Einsatz von digitalen Kommunikationstools, die sie DIOW nennen (Digitale Innovationen für Organisationalen Wandel), im Change-Management. Das Versprechen lautet: Mit dem Einsatz solcher Tools lassen sich Veränderungsprozesse inklusiver, individualisierter und anpassungsfähiger gestalten. Dagegen lässt sich zunächst nichts sagen. Manche Tools sind schon seit über zehn Jahren im Einsatz (Blogs, Wikis, Social Media), andere sind recht neu wie Apps oder Pulse-Feedbacks.
Drei Aspekte des Tool-Einsatzes
- Inklusion durch digitalgestützte Beteiligungs- und Dialogformate: „Durch soziale Netzwerke, Blogs oder Wikis können Stakeholder am Diskurs über Veränderung teilnehmen.“
- Individualisierung mittels digital personalisierter Maßnahmen: Nudges als personalisierte Anstupser zur Verhaltensänderung und Boosts (z. B. Erklärvideo) als individuelle Förderprogramme.
- Anpassungsfähigkeit durch datengetriebenes Echtzeit-Monitoring: Auf dem Dashboard werden automatisch alle möglichen Indikatoren abgebildet.
Der Nutzen des Einsatzes solcher Kommunikationsmaßnahmen leuchtet unmittelbar ein. Doch zeigen sich bei genauerer Betrachtung auch enorme Risiken, die den (IT-)Toolklempnern vermutlich kaum bewusst sind. Wenn überhaupt, mögen sie noch an Datenschutz denken. Doch ethische und rechtliche Perspektiven mitzudenken, die mit der potenziellen Verletzung von Persönlichkeitsrechten einhergehen, verlangt schon eine tiefere Beschäftigung mit der Materie. Und wissen die Anwender wirklich, was sie da tatsächlich tun? Haben sie ein angemessenes, also systemisches Verständnis von Veränderungsmanagement? Oder frönen sie der alten Maschinenmetapher des Wandels? Kennen sie sich in Sozialpsychologie und Gruppendynamik aus? Sind sie auch statistisch kompetent? Oder lassen sie leicht Fünfe gerade sein?
Enorme Risiken durch (IT-)Toolklempnerei
Die Autoren legen an diesen Stellen den Finger tief in die Wunde und erläutern die Risiken an vielen Beispielen. Greifen wir ein paar heraus:
- Durch den Einsatz von Social-Networks bekommt man breite Diskussionen, die aber auch schnell entgleisen können.
- Die differenzierte Ansprache von Zielgruppen vermeidet Streuverluste, kann aber auch das Gefühl bei den nicht angesprochenen Mitarbeitenden provozieren, übergangen zu werden.
- Der hochfrequente Pulse-Check (Ongoing Feedback) signalisiert Interesse des Managements an den Mitarbeitenden. Doch kann dieser Eindruck bei diesen auch schnell umschlagen in das Gefühl, überwacht zu werden, so dass man lieber taktisch, sozial erwünscht antwortet.
In unseren Zeiten, in denen technisch so vieles machbar wird, darf man vor lauter Technikverliebtheit (Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt), nicht den Blick auf die Risiken und Nebenwirkungen der Technik ausblenden. Wie sagt der Volksmund so schön: „Mit einem Küchenmesser kann man Kartoffeln schälen. Aber auch den Ehepartner umbringen.“