INSPIRATION: Stellen Sie sich mal folgende Situation vor: Sie sitzen in einer gemütlichen Runde zusammen, plaudern nett und gießen sich das eine oder andere Gläschen hinter die Binde. Da schlägt jemand vor: „Kommt, lasst uns noch zum Club XY fahren, der ist gerade groß angesagt.“ Eigentlich haben Sie keine Lust, zumal das ein ganzes Stück entfernt ist, Taxis schwer zu bekommen sind und Sie fürchten, am Ende zu versacken und Sie die Aktion am nächsten Morgen bitter bereuen werden. Stimmen Sie trotzdem zu?
Kommt vermutlich drauf an. Wer z.B. den Vorschlag macht. Wie die anderen reagieren. Sie behalten Ihre Bedenken für sich und stellen später fest, dass es den anderen genauso gegangen ist. Sie sind alle dem Konformitätsdruck erlegen, auch als Abilene-Paradox bekannt. Der Begriff geht auf eine ähnliche Anekdote zurück, nach der die Familie eines Professors namens Jerry Harvey bei sengender Hitze in Texas nach Abilene fuhr, obwohl tatsächlich niemand wirklich Lust dazu hatte (Stumm wie ein Fisch).
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Wem so etwas Ähnliches schon mal widerfahren ist, der ahnt, wie es zustande kommt. Niemand möchte der Spielverderber sein oder andere, die den Vorschlag gemacht haben oder diesen scheinbar unterstützen, vor den Kopf stoßen. Irgendwie menschlich, aber nicht sonderlich klug.
Die Gefahr, sich einem Vorschlag anzuschließen, wenn dieser von einer Führungskraft kommt, dürfte noch deutlich größer sein. Wie kann man so etwas verhindern? Das Phänomen erklären, sagt Harvey. Ins Bewusstsein rücken. Darum bitten zu sagen, was man wirklich denkt. Hilft nicht wirklich, sagt Professor Kanning. Wenn in einem Unternehmen Angst herrscht, sich offen zu äußern, wird ein Appell wenig helfen. Seine Empfehlung: Einen neutralen Moderator hinzuziehen. Oder alle bitten, anonym die eigenen Meinung auf einen Zettel zu schreiben, anschließend alle aufdecken und dann diskutieren.
Über die Rolle der Macht
Das mit dem Moderator kann funktionieren, aber ich habe schon erlebt, dass die Angst so groß ist, dass trotzdem alle schweigen. Und vermutlich sich sogar weigern würden, Zettel auszufüllen, schließlich kennt jemand vielleicht doch meine Handschrift. Was hilft dann?
Kleiner Schlenker: Im gleichen Heft gibt es einen Beitrag zum Thema „Macht“ (Die Machtfrage). Dort wird uns mal wieder erklärt, was Macht mit Menschen macht. Wir verändern uns, wenn wir Macht übertragen bekommen. Auch zum Positiven: Wir machen dann mehr Lösungsvorschläge, fokussieren uns stärker auf Ziele, äußern unsere Bedürfnisse klarer, gehen mit mehr Selbstvertrauen in Verhandlungen und erzielen dort bessere Ergebnisse.
Allerdings gibt es auch die bekannten „Nebenwirkungen“: Die Selbstbezogenheit wird größer, die Empathie kleiner. Wir hören weniger zu und akzeptieren andere Meinungen seltener. Wir verlernen, die Welt aus der Perspektive anderer zu sehen, lassen uns seltener beraten, unterschätzen den eigenen Redeanteil und glauben, dass wir vieles besser wissen. Vor allem, wenn wir kein oder weniger entsprechendes Feedback bekommen.
Feedback als Lösung?
Hier liege auch die Lösung, meinen die Experten. Man muss für Widerspruch sorgen. Statt ständig Bestätigung zu erhalten, brauchen mächtige Menschen andere, die ihnen offen auch kritisches Feedback geben. Was dummerweise zu einem Paradox führt: Mächtige Menschen dulden keinen Widerspruch. Also versuchen es Personalentwickler immer wieder mit einer Feedback-Kultur – was auch immer das sein mag.
Dabei liegt die Lösung doch auf der Hand: Man muss einzelnen Menschen doch nicht unbedingt Macht geben. Zumindest nicht allzu viel und vor allem nicht über einen längeren Zeitraum. Die Konzepte sind bekannt: Führen auf Zeit und verteilte Führung (Führungsexperimente) zum Beispiel. Damit wird man zwar das Abilene-Paradox nicht verhindern können, aber zumindest den Widerspruch aus Angst vor dem Mächtigen reduzieren.