11. Dezember 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Agilität mit Stützrädern

INSPIRATION: Der Toolglaube und die Baumarktmentalität sind ungebrochen: Gib mir ein Werkzeug und ich hebe die Welt aus den Angeln. – Wir müssten es inzwischen doch besser wissen. Doch eine instrumentalistische Gesinnung scheint tief in unserer Kultur verankert zu sein.

Da wird ein alter Hase zur Einführung von Agilität in Unternehmen befragt. Und Marcus Raitner (Geduldig bleiben und lernen) gibt inspirierende, aber auch einige launige Antworten. Es beginnt schon damit, dass er die dümmste aller möglichen Implementierungsstrategien brandmarkt: Man experimentiert in einer Abteilung ein wenig mit Agilität und versucht sich mal in einem Pilotprojekt daran. Drumherum beobachtet ein skeptisches Umfeld das Experiment. Offenbar wurde eine entscheidende Frage nicht ernsthaft beantwortet: Wofür soll das gut sein?


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Konzentration auf das Wesentliche

Wenn man eine Veränderung einführen möchte, dann muss ein Produkt im Fokus stehen. Das ist, was ihn an Scrum nach wie vor fasziniere: Diese Konzentration auf das Wesentliche, so Marcus Raitner. Stattdessen würde heute ein ziemliches Brimborium darum gebaut. Und interessanterweise nennt er einen bahnbrechende Veröffentlichung Mitte der 1980er-Jahre als den Beginn der agilen Philosophie: Hirotaka Takeuchi und Ikujiro Nonaka hatten im Harvard Business Review einen Beitrag veröffentlicht: The new new product development game. Die Pointe, die dem Interviewer offensichtlich entgangen ist: Dort wurde der Rugby-Begriff „Scrum“ erstmalig in der Managementliteratur eingeführt. Und diese Veröffentlichung war die Initialzündung für – eben nicht für Agilität – sondern für Lean Management und Kaizen.

Nachdem Womack, Jones und Roos dann Anfang der 1990er-Jahre die zweite Revolution in der Automobilindustrie ausgerufen hatten, entstand daraus das Konzept eines flexiblen Unternehmens, dessen Herzstück die teilautonome Gruppenarbeit und kontinuierlicher Verbesserungsprozess wurden. Viele Jahre war dies das leitende Paradigma in der Industrie und darüber hinaus. – Bis die Tayloristen wieder Aufwind bekamen.

Die Gnade der späten Geburt

Das war vermutlich vor der Zeit, in der sich der Redakteur mit organisationalen Fragestellungen befasst hat. Denn er springt ungerührt gleich eine Dekade auf dem Zeitstrahl weiter. Das Manifesto for Agile Software Development wurde 2011 veröffentlicht. Die IT-Branche sollte nun das Vorbild für den Rest der Welt darstellen. Ich denke, wir können solches getrost unter der Rubrik Legendenbildung ablegen.

Experte Raitner nimmt es gelassen und bringt die Sache nochmals auf den Punkt: Für ihn ist der Kern von Scrum schlicht das empirische Vorgehen in seiner dynamischen und teamorientierten Weise. „Für einen Sprint oder für einen Release wird eine Hypothese aufgestellt, es wird entwickelt und dann gibt es Feedback.“ Das ist das Gegenteil von Routinearbeit, von transaktionalem Business. Dort braucht man kein Scrum. Aber Kanban, so Raitner. Also eine Methode der Produktionsprozesssteuerung. Nicht eine der Produktentwicklung. Wer solches leichtfertig generalisiert, also aus Scrum eine Allzweckwaffe macht, bleibt dem tayloristischen One-Best-Way, der „Gießkanne“ verhaftet.

Tango Argentino

Und jetzt kommt ein bemerkenswerter Ausspruch des Meisters: „Es gibt Menschen, die behaupten sogar, Scrum wäre Agilität mit Stützrädern und Kanban sei die reine Lehre.“ Warum? Weil Scrum mit sehr viel Struktur aufwartet – im Gegensatz zu Kanban. „Sprints, bestimmte Rollen, Meetings und so weiter. Kanban hat das nicht, ist aber ebenfalls ein inkrementeller Entwicklungsprozess.“ So wie Tango Argentino: Keine Standardschrittfolge wie die europäische Variante. Freistil – da muss man spüren, nicht Tanzschritte zählen.

Und deshalb argumentiert Interviewpartner Raitner auch für einen spezifischen (ideo-logischen – übersetzt: „eigentümlichen“) Ansatz: Jedes Unternehmen muss, weil es in einer spezifischen Lage ist, eine eigene Antwort finden. Blaupausen zu adaptieren, ist wenig hilfreich. Am Anfang muss die Frage stehen, und nicht eine Antwort. Das sollte man nicht verwechseln.

Toolverliebtheit

Das wird aber gerne verwechselt. Und das ist zumeist fatal. Man kauft sich lieber den Anzug von der Stange, als sich auf eine Maßschneiderei einzulassen. Und so sieht das anschließend oft auch aus: Hauptsache, man konnte „skalieren“. –Interviewer Jan Weilbacher schielt aber wieder auf das „Sonderangebot“: „Macht es Sinn, sich zumindest von diesen Modellen [Spotify oder SAFe] inspirieren zu lassen?“

Erst so langsam scheint ihm klar zu werden, was sein Interviewpartner ihm sagen möchte: Dass es darum geht, seinen eigenen (!) Weg zu finden. Dass das mühsam ist, oft auch schmerzhaft und man Geduld braucht, weil es Zeit braucht, sein gemeinsames Arbeitsmodell zu entwickeln. Doch nur so finde Lernen statt, und nicht beim platten Kopieren.

Malen nach Zahlen

Ein Beispiel, das Marcus Raitner dafür anführt, ist die Aufgabe der Trennung von fachlicher und disziplinarischer Führung, wie sie im Spotify-Modell definiert ist, bei BMW. Interviewer Weilbacher hört die Botschaft wohl, doch so richtig scheint ihm der Glaube zu fehlen: „Aber gibt es nicht dann doch bestimmte Elemente, die allgemeingültig sind, wenn eine agile Organisation angestrebt wird?“ Er macht keinen Hehl daraus, dass er immer noch auf der Suche nach der „Blaupause“ ist. Interviewpartner Raitner verabschiedet sich elegant per Judo-Rolle.

„Wessen einziges Instrument ein Hammer ist, der sieht auf der ganzen Welt bloß Nägel.“ Dieses Bonmot wird Paul Watzlawick zugeschrieben. Und so kommen wir zur entscheidenden Anfangsfrage zurück: Wofür soll das gut sein?

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