KRITIK: Ein Stichwort, das oft genutzt, doch wenig hinterfragt wird: Interdisziplinarität. Seitdem agiles Arbeiten hipp wurde, sowieso. Die Parole: Reißt die Mauern der Silos ein! Und dann? Entsteht etwa Interdisziplinarität automatisch?
Auf keinen Fall! So könnte man das Fazit der Autorinnen (Interdisziplinäre Kompetenzen) zusammenfassen. Wenn man Pech hat, entsteht bloß Multidisziplinarität, also ein Nebeneinander von Disziplinen. Aber keine fächerübergreifende Zusammenarbeit: Wie nach dem Einsturz des sagenhaften babylonischen Turmes ernten wir lediglich eine Sprachverwirrung. Die Disziplinen sprechen eigene Sprachen und verstehen sich nicht.
Anzeige:
Zeit haben zum Denken. In Ihrem eigenen Tempo. Wann Sie wollen. Wo Sie wollen. Ohne Video, ohne Anrufe, ohne Termine - nur schreibend und lesend. das | onlineCoaching = Nachdenken und Schreiben. Schreiben statt Reden. Jederzeit & Überall. Zur Webseite...
Kultur
Diese Sprachen sind durch fachspezifische Sozialisationsprozesse entstanden. Und man müsste gleich ergänzen, dass es nicht nur Sprachen sind, sondern spezifische Kulturen: „Disziplinäre Identitäten sind als Tiefenmerkmale zu verstehen.“ Schade, dass die Autorinnen diese Thematik nicht vertiefen. Ihr Blick geht stracks auf Kompetenzen.
„Die Zusammenarbeit in disziplinär-diversen Teams birgt kreatives Potenzial,“ so die Autorinnen. „Gleichzeitig gehen solche Teamkonstellationen mit einem hohen Konfliktpotenzial einher.“ Das ist, wie gesagt, in der interkulturellen Psychologie schon lange bekannt (Beträchtlich Luft nach oben). Dass man sich zunächst beschnuppern oder den Kulturschock (Ba-Fa-Kulturen) erleben muss.
Kompetenzmodell
Dabei sind die Autorinnen methodisch nah an der interkulturellen Forschung dran. Sie arbeiten nämlich ebenfalls mit der Critical Incident Technique (CIT). Damit werden kritische Ereignisse im Arbeitsalltag beschrieben und es wird systematisch gelingendes Handeln analysiert. Das Ergebnis der Autorinnen ist ein Kompetenzmodell für Interdisziplinarität mit vier Dimensionen:
- Initiative zum Austausch: Das meint proaktives Handeln
- Zielgruppenspezifische Kommunikation: Hier geht es um die Fähigkeit, zwischen Milieus „übersetzen“ zu können
- Wissensintegration: Man muss neugierig und offen für andere sein, um „Verbindungen zwischen verschiedenen Wissensbereichen herzustellen“
- Reflexion der eigenen Fachdisziplin: Wer das eigene „Brett vor dem Kopf“ (Perspektive) kennt, kann auch mit einer gewissen Distanz auf die eigene Profession blicken.
Das Zusammenspiel dieser Dimensionen soll es Individuen grundsätzlich ermöglichen, erfolgreich interdisziplinär zusammenzuarbeiten.
Kompetenzdiagnostik
Wie kann man nun interdisziplinäre Kompetenz messen, so die klassische Psychologenfrage. Claus und Wiese haben zwei Instrumente entwickelt: Das erste ist ein Selbstberichtsinventar, also ein Fragebogen. Dabei werden Satzergänzungen wie „Mir fällt es leicht …“ oder „Ich kann gut …“ eingesetzt.
Die zweite Variante ist ein simulationsbasierter Ansatz, den man als Assessment Center kennt. Verhalten wird in Rollenspielen, Vortragsübungen oder Situational Judgement Tests simuliert und erfasst. Dazu wurden drei Szenarien entwickelt: Zunächst galt es, sich in einem interdisziplinären Kolloquium (Cover-Story: Bewerbung im Rahmen der Ausschreibung einer Projektförderung) zu beweisen. Anschließend trafen die Teilnehmenden auf eine potenzielle Kooperationspartnerin (andere Disziplin), mit der verhandelt werden musste. Zum Schluss wurde noch ein biographisches Interview durchgeführt.
Kaum verwunderlich sind die Ergebnisse der Studie: Proaktiv aufzutreten und Initiative zum Austausch zu zeigen, das fiel den Teilnehmenden leicht. „Die Integration von unterschiedlichen Perspektiven und Wissensbeständen im Dialog war insgesamt betrachtet am schwierigsten und wurde im Schnitt schlechter bewertet.“
Was lernen wir daraus?
Natürlich sind die Vor- und Nachteile der beiden Ansätze schnell erklärt: Der Selbstbericht ist ökonomisch, liefert aber nur Absichten. Die Verhaltenssimulation kann die Umsetzung in Verhalten beurteilen, ist aber aufwändig. Tja, und nun? Den Autorinnen fällt der Einsatz in der Personalauswahl und -entwicklung ein.
Irgendwie alles recht akademisch. Mit dem Thema interkulturelle Kompetenz hätte man weiterkommen können. Vor allem auf der organisationalen Ebene. Es fehlt auch das – eher soziologische – Thema Professionalität in der Betrachtung. Damit könnte man wirtschaftspsychologische Anschlussfähigkeit (Noble Profession) herstellen. Vielleicht sollten sich die beiden Forscherinnen auch mal fragen, was für sie selbst Interdisziplinarität bedeutet, wenn ihr Blick so eng bleibt. Sie könnten doch von schönen Beispielen lernen (Zukünfte). Und nicht nur in der Ferne, auch in der arbeitspsychologischen Nachbarschaft (Expertise Map) könnte man schöne Anregungen bekommen. – Diagnostika allein werden die Welt kaum verändern.