INSPIRATION: Die Business Schools haben Coaching entdeckt. Als Kaderschmieden geht es ihnen traditionell darum, High Potentials zu Leadern zu entwickeln. Daher stehen die Themen Strategie, Finanzen, Marketing und so weiter im Vordergrund. Doch das reicht heute nicht mehr. Es braucht zudem Persönlichkeitsentwicklung.
Ein Wort, das ich eigentlich nicht mag. Denn Persönlichkeit wird in der Psychologie als etwas Stabiles, kaum Veränderbares verstanden. Daran zu feilen, gleicht einem mühsamen und wenig erfolgversprechendem Unterfangen. Doch offensichtlich ist hier etwas anderes gemeint: Reife, Reflektiertheit, Selbsterkenntnis, Weisheit … Vielleicht trifft der Ausdruck „gestandene Persönlichkeit“ es besser. Weil sich darin Erfahrung, Selbsterfahrung, aber auch Bewährung spiegelt.
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Wenn der Autor Peter Boback hier von Business Schools spricht (Coaching von Führungskräften in Business Schools), sind damit Elite-Institute gemeint: INSEAD in Fontainebleau, ESMT in Berlin, Mannheim Business School und IMD in Lausanne. Wenn diese Institute Coaching in ihre Leadership Development Programme einbauen, beziehen sie sich auf ein altes, ganzheitliches Bildungsideal.
Ganzheitlichkeit
Womit dann im Umkehrschluss klar wird, was bei den anderen, „normalen“ Universitäten und Hochschulen angeblich zumeist auf der Strecke bleibt. Bildung wird dort – so die Lesart – in der Regel immer noch auf Wissen pauken reduziert. Allem neuzeitlichen Gerede von Kompetenzorientierung zum Trotz, liege der Fokus zumeist einseitig auf der Fachkompetenz. Die Entwicklung von Sozial- und Selbstkompetenz stehe zwar in den Hochglanzbroschüren. Es kümmere sich im Alltag aber niemand wirklich darum. Es bräuchte auch eine psychologisch-didaktische Kompetenz der Dozent:innen dafür. Und Zeit. Und Geld. Da würde es dann schnell eng.
Genau das ist die Chance für die Kaderschmieden: Geld spielt keine Rolex. Und es bietet sich zudem die Chance, sich gegenüber den anderen abzugrenzen und zu positionieren: Ganzheitliche Bildung ist eine Unique Selling Proposition (USP).
Grandiosität und Selbstüberschätzung
Aber da gibt es noch einen anderen, wichtigen Grund: „Die Teilnehmer an Programmen zur Führungskräfteentwicklung lassen sich als hoch motivierte, ehrgeizige und karriereorientierte Menschen charakterisieren.“ Oder in anderen Worten: „Ihre psychologische Disposition macht sie offen für Einladungen zu Grandiosität und Selbstüberschätzung.“ Wir finden dort „Insecure Overachiever“, selbstausbeuterische Burnout-Gefährdete und – der Autor benutzt diesen Begriff zwar nicht – möglicherweise auch narzisstische Personen. Auch aus diesem Grund könnte es für eine Business School mehr als sinnvoll sein, sich der „Persönlichkeitsentwicklung“ der Studierenden zu widmen.
Coaching kann die Funktion haben, ein Übergangsraum für Lernen und Entwicklung zu sein. Es kann darüber hinaus auch als Methode für „Identitätswerkstätten“ („Identity workspaces“) genutzt werden. All das wird an den Business Schools offensichtlich schon länger praktiziert. Am INSEAD beispielsweise wurden drei Elemente für ein Gruppencoaching entwickelt:
- Ein 360-Feedback-Verfahren auf der Grundlage eines Rollenmodells für globale Führungskräfte
- Ein Persönlichkeits-Audit
- Eine Selbstporträt-Übung als Grundlage für eine persönliche Lebensgeschichte
Solche Gruppencoachings werden durch Einzelcoachings ergänzt. In denen geht es um die Vertiefung von Führungs- und Lebensthemen, die im Gruppencoaching virulent wurden. So entstehen individuelle Entwicklungsaktionspläne.
3 Zielgruppen, 3 Formate
Die Standardprogramme sind auf drei Arten von Teilnehmern zugeschnitten:
- Auf dem Weg hinein – in den Beruf: Den zumeist jüngeren MBA-Studenten dient das Programm als „Career Design Park“. Deren Agenda kreist grundsätzlich um „die Entwicklung einer beruflichen Identität und den Entwurf einer Selbsterzählung.“ Sie erarbeiten sich ein „Karrieredrehbuch“.
- Auf dem Weg nach oben: Der mittleren bis oberen Führungsebene dient das Programm als Karriere-Booster. Die konzeptionellen Landkarten des Einzelnen als Manager und Führungskraft, das „Führungsrollenskript“ soll ein Upgrade erfahren.
- Auf dem Weg nach draußen: Diese Teilnehmenden haben in der Regel bereits Karriere gemacht, erleben jedoch derzeit eine Midlife-Crisis. Sie nutzen das Programm als Rückzugsort zur Selbstfindung und Neuerfindung. Es geht meist um das Überprüfen und Umschreiben des Lebensskripts.
Die Business School-Programme werden zu Identitätsarbeitsräumen. Sie bieten einen konzeptionellen Rahmen, selektierte Gemeinschaften und Übergangsriten. Interessant ist, dass solche Konzepte offensichtlich psychodynamisch fundiert sind. Bezeichnend dafür ist der Begriff „Containment“. Er meint, dass ein Container geboten wird. Ein schützender Raum, in dem Regression möglich wird – mit dem Ziel der tiefen Verarbeitung und Integration.
Die „portable“ Führungspersönlichkeit
Ein weiterer Grund für diese Programme wird in den Veränderungen der Wirtschaftswelt gesehen. Diese wird immer schnelllebiger und erfordert höchste Flexibilität. Alte psychologische Verträge, die auf Loyalität basierten, werden obsolet. Der Einzelne wird auf sich zurückgeworfen. Wer da nicht in sich ruht und gefestigt ist, verliert leicht den Stand.
Hier mag man in den Klagemodus verfallen und an Richard Sennetts „Der flexible Mensch“ denken oder an den „Arbeitskraftunternehmer“ von Voß und Pongratz. In solcherlei Richtung jedenfalls resümiert der Autor: „Welcher Zeitgeist befördert die Konzentration auf Identität? Ist Transformation nicht ein Decktitel für die Ausrichtung auf permanente Veränderung und Anpassung? Und Portabilität die Hidden Agenda für die Abrichtung auf einen total flexibilisierten Arbeits- und Lebensstil?“
Man könnte aber auch auf das berufspsychologische Konzept der proteanischen Karriere (Berufswahl und berufliche Entwicklung) verweisen. Proteus, der Meeresgott, kann sich je nach Bedarf in eine andere Gestalt verwandeln. Das gäbe der Sache eine positivere Konnotation. Wenn die Unternehmen die psychologischen Verträge aufkündigen, führt das auf der anderen Seite zu einer „Kernschmelze“ der Belegschaft – wie das seinerzeit Peter Kruse ausdrückte (Zukunft von Führung): Das Commitment sinkt, die Fluktuationsbereitschaft steigt. Und die Mitarbeitenden suchen sich neue Vertragspartner. Nicht nur unter den Unternehmen. Sondern sie fühlen sich beispielsweise eher ihrer Profession, deren Standards und Ethik, zugehörig als dem aktuellen Arbeitgeber.
Ich persönlich finde diese Perspektive nicht nur optimistischer. Denn die Konsequenzen zielen nicht nur auf die Stärkung des Einzelnen (starke, stabile Persönlichkeit) in einer rauen Welt. Sondern zeigen die Möglichkeiten der Vernetzung, also die der sozialen Unterstützung, auf. – Es wird halt kein Psychodynamiker mehr aus mir …