INSPIRATION: Ein erfolgreicher Gründer sattelt von heute auf morgen um und macht eine Ausbildung zum Physiotherapeuten. Sein Umfeld reagiert verständnislos, er aber hat seine Bestimmung gefunden. Solche Geschichten lesen wir häufiger, vor allem vermutlich deshalb, weil sie eher selten sind. Denn für die meisten bedeutet Erfolg ständige Entwicklung nach „oben“: Also mehr, besser, wohlhabender usw. Eine Meta-Studie basierend auf 150 Studien soll herausgefunden haben, dass die Erwartungen amerikanischer, britischer und kanadischer Studenten in Sachen Perfektionismus in den letzten 30 Jahren stetig zugenommen haben (Schräg nach oben). Und wer sich die Selbstoptimierungsindustrie anschaut, dürfte zu ähnlichen Erkenntnissen kommen.
Wo liegt die Grenze zwischen „gesundem Ehrgeiz und ungesunder Selbstoptimierung“? Nehmen wir das Fazit mal vorweg: Das kann wohl letztlich nur jeder selbst entscheiden. Nur: Woran macht man das fest? Das zentrale Problem: Wir messen uns an anderen – an deren Einkommen, an der Größe ihrer Häuser, an ihren Urlauben, sportlichen Erfolgen, an ihrem Aussehen, an ihren Status. Nur: Warum ist uns das so wichtig? Eine Erklärung: Evolutionär betrachtet benötigen wir die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Ohne unser soziales Umfeld sind wir verloren, auf uns allein gestellt. Also müssen wir dafür sorgen, dass wir dazu gehören, und gleichzeitig sorgen wir uns ständig darum, eben nicht mehr dazugehören zu dürfen, nicht mithalten zu können, ausgeschlossen zu sein. Das Gefühl kennt wohl jeder.
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Also achten wir genau darauf, was von uns erwartet wird: Wenn mein Umfeld (meine Eltern) mir signalisieren, dass ich in der Schule Top-Leistungen bringen muss, um anerkannt zu werden, dass es eine bestimmte Schule sein muss, mindestens ein Studium, auf jeden Fall eine Führungsposition – was bleibt mit anderes übrig als zu versuchen, den Erwartungen gerecht zu werden?
Mittelmäßigkeit akzeptieren?
Eben genau damit aufzuhören, empfehlen die Experten. Zumindest dann, wenn man unter dem Optimierungsdruck leidet. Und „zu lernen, dass es völlig in Ordnung ist, mittelmäßig zu sein.“ Echt jetzt? Toller Tipp. Und das soll die Sorge, nicht mehr dazuzugehören, besänftigen?
Der andere Rat: Sich nicht an den Maßstäben der Gruppe, sondern an den eigenen zu messen. Selbst zu definieren, was für uns „Erfolg“ bedeutet (Nur fast glücklich). Schon besser, aber das würde ja bedeuten: „Leute, ich entscheide selbst, was Erfolg bedeutet, und wenn euch das nicht reicht, um dazu zu gehören, dann eben nicht.“ Auch schwierig, oder? Dann müsste ich mir ja eine neue Gruppe suchen, eine, die zu mir passt.
Und da liegt wohl das größte Hindernis. Wer innehält, um herausfinden, was einem wirklich wichtig ist, an welchen (eigenen) Maßstäben man sich orientieren möchte, der könnte zu der Erkenntnis gelangen, dass das nicht ausreicht, um in der begehrten Gruppe anerkannt zu werden, eben weil diese nun mal andere Maßstäbe für Erfolg hat. Und man dort mit den eigenen wohl maximal Mittelmaß darstellt. Und dann?
Tja, entweder weiter strampeln oder sich schweren Herzens von der (Vergleichs-)Gruppe verabschieden. Ich kenne nicht viele, die das gemacht haben …