INSPIRATION: Charismatische Redner werden gefeiert, die Zuhörer bleiben im Dunkeln. Die Vorstellung, dass gute Zuhörer frenetisch bejubelt werden, mutet seltsam an. Sagt jemand, der gerade ein Buch über das Zuhören veröffentlicht hat (Wer Ohren hat zu hören). Bernhard Pörksen gibt ein Interview in der managerSeminare (Der Wille zum Zuhören) und findet, dass wenn überhaupt, Therapeuten Dankesbriefe für ihr Zuhören bekommen.
Obwohl die meisten Menschen wohl zustimmen werden, wenn man erklärt, wie wichtig Zuhören ist – die Kunst beherrschen die wenigsten. Vor allem: Wir haben viel weniger Zeit zum Zuhören. Weil auf allen Kanälen gesendet wird. Oder vielmehr: Auf einem Kanal. Wir sind ständig online, wo wir zu viel zu schnell sehen. Wo es früher an Informationen fehlte, herrscht heute ein Mangel an Aufmerksamkeit.
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Also was tun? Na, mehr zuhören natürlich. Nur ist es mit diesem einfachen Rat nicht getan. Im Gegenteil. Pörksen wendet sich gegen „die Fetischisierung des Einander-Zuhörens als Allheilmittel“. Es gibt keine einfachen Rezepte für Zuhören, was wohl bedeutet, dass Trainings im Aktiven Zuhören oder Gewaltfreier Kommunikation, die sich auf die Vermittlung von Kommunikationstechniken beschränken, scheitern müssen.
Und auch solche Tipps wie im Harvard Business Manager (Jetzt hören Sie doch mal zu!). Immerhin: Dort wird unaufmerksamen Managern zugute gehalten, dass sie manchmal einfach zu erschöpft sind, um noch weiter zugewandt zuhören zu können. Die Empfehlung, ein Gespräch dann abzubrechen, kann man auf jeden Fall unterstützen.
Widerspruchsfeindliche Wesen
Was aber dann? Da sind wir bei dem Kernproblem: Zuhören funktioniert nicht losgelöst von unseren eigenen Wünschen und Bedürfnissen. Was immer wir hören, lesen, sehen, trifft auf unseren individuellen Wahrnehmungsfilter, und der entscheidet, was zu uns durchdringt. Warum ist das so? Weil wir widerspruchsfeindliche Wesen sind, wir suchen vorrangig nach Bestätigung von uns selbst. Die Botschaft wird also auf den Grad der Übereinstimmung abgeklopft, der Rest wird direkt herausgefiltert. Und schafft es es dennoch durch den Filter, löst es Widerspruch aus, bevor wir überhaupt zu Ende zugehört haben.
Schönes Beispiel aus Munk: „So, jetzt habe ich aber genug von mir geredet. Jetzt zu dir. Wie findest du meine neue Uhr?“ Pörksen will und kann keine einfachen Lösungen anbieten. Es ist eben ungeheuer schwierig bis gar unmöglich, das eigene Ego zu überwinden, nicht sofort den Abgleich mit der eigenen Haltung zu starten und auf Bewertungen zu verzichten. Um dann doch Hinweise zu geben. Nämlich mit dem Du-Ohr zuzuhören. Zu überlegen, in welcher Welt das, was der andere sagt, plausibel ist. Komplett wird das nicht gelingen, aber vielleicht können wir uns dieser Haltung annähern.
Liebende Akzeptanz
Ich habe kürzlich eine Situation erlebt, die wunderbar hierher passt. Ich traf einen Nachbarn, der recht unglücklich dreinschaute. Auf meine Frage erklärte er mir, was aus seiner Sicht in der Gemeinschaft gerade in die falsche Richtung läuft. In mir stieg sofort Widerspruch hoch. Vielleicht lief es gerade nicht perfekt, aber aus meiner Sicht deutlich besser als noch zu anderen Zeiten. Der Widerspruch breitete sich in der Bauchgegend aus und drohte aufzusteigen.
Ich habe keine Ahnung, warum es mir in dem Moment gelang, die Klappe zu halten. Abzuwarten. Kurz nachzufragen, was aus seiner Sicht nicht rund lief. Ich spürte, wie der Widerstand anhielt, mal stärker, mal weniger stark rumorte. Irgendwann gab er auf, ich konnte mich auf die Inhalte des Gespräches einlassen. Nein, ich teilte auch am Ende nicht seine Einschätzung, und er nicht meine. Und dennoch war da ein Gefühl der Verbundenheit und gar Dankbarkeit.
Vermutlich erlebte ich in dem Moment das, was Pörksen als liebende Akzeptanz bezeichnet. Wobei er eine Bedingung nennt: Wir hören zu, wenn wir Menschen, an denen uns etwas liegt, besser verstehen wollen. Bleibt die Frage, wie das funktionieren soll, wenn uns am anderen nicht viel liegt …