KRITIK: Das übliche Spiel: Eine neue Entwicklung, neue Begriffe, und schon tauchen die entsprechenden Modelle auf. Sei es in Sachen Führung (Digital Leadership) oder in Sachen Kompetenzen. Wenn also heute alles digital wird, dann brauchen Mitarbeiter natürlich digitale Kompetenzen. Wohin dann mit dem alten Kompetenzmodell?
Die Autoren in der Personalführung (Digitalkompetenz – Orientierung im Wirrwarr) sehen die Sache auch kritisch. Es tauchen die ersten Gurus auf sowie entsprechende Veröffentlichungen und schon fühlen sich die Personaler aufgerufen, ihrem Management ein neues Tool zu entwickeln. Nach dem Motto: „Neue Welt = neues Kompetenzmodell“. Für die Berater: „Neuer Hype = neuer Umsatz“.
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Angeblich haben sich seit 15 Jahren in vielen Unternehmen Kompetenzmodelle etabliert, dazu gibt es jede Menge Praxisberichte. Die Wissenschaft hat auch einiges zu bieten, so dass die Autoren zu dem Schluss kommen, die Unternehmen fahren ganz gut mit ihren etablierten Modellen. Diese müssten jetzt nicht völlig über den Haufen geworfen werden, bloß weil viele Geschäfte nun plötzlich digital abgewickelt werden und neue Produkte auf den Markt kommen.
Nicht das Rad neu erfinden
Und wenn schon neue Kompetenzen beschrieben werden, dann sollte es schon etwas Seriöses sein – so wie das European Digital Competence Framework der EU. Es enthält 21 Kompetenzen, aufgeteilt in fünf Kompetenzbereiche, als da wären:
- Informations- und Datenkompetenz
- Kommunikation und Kooperation
- Erstellung digitaler Inhalte
- Sicherheit
- Problemlösung
Schaut man sich die einzelnen Kompetenzen näher an, verbergen sich dahinter zum Teil Fertigkeiten, die durchaus einfach zu erwerben sind. Und andere, die vor allem für Programmierer wichtig sind. Und schon sind wir bei einem Problem, das jedes Kompetenzmodell hat: Es bildet in der Regel sehr allgemeine Fähigkeiten oder Eigenschaften ab, die auf dem Niveau von Persönlichkeitseigenschaften liegen, zum anderen sehr konkrete Fertigkeiten. So wie ein Vertriebler, der international tätig ist, Fremdsprachen beherrschen muss und ein Fußballer Ausdauer besitzen sollte. Wie kann es da ein für alle Mitarbeiter passendes Modell geben?
Eierlegende Wollmilchsau?
Soll heißen: Ich glaube nicht, dass es EIN Kompetenzmodell für eine ganze Organisation geben kann, weil ja jedes Unternehmen sehr viele unterschiedliche Jobs anbietet, die alle unterschiedliche Kompetenzen erfordern. Ein Fußballverein wird von einem Platzwart und seinem Geschäftsführer sicherlich andere Kompetenzen erwarten als von den Spielern.
Die Autoren empfehlen zwei mögliche Varianten: Entweder, Sie ergänzen ihr altes Modell um die eine oder andere „digitale“ Kompetenz – was ich schwierig finde, zumal sie selbst schreiben, dass Experten zu maximal 12 Kompetenzen raten, und das vorgestellte EU-Modell hat schon 21. Oder Sie schauen, was die bereits erfassten Kompetenzen „mit einem erfolgreichen Handeln in der digitalen Welt zu tun haben“ und lassen ihr Modell unverändert. Auf jeden Fall sollte man eben nicht alles über Bord werfen, sondern erst einmal am Bestehenden festhalten.
Und am Ende kommt’s: Untersuchungen zeigen, dass nur „in einem von 20 Unternehmen eine akzeptable Qualität von Kompetenzmodellierung und Kompetenzmodell erreicht worden ist“. Soll wohl heißen: Wenn das alte schon nicht funktioniert, sollte man es mit neuen Kompetenzen nicht noch schlimmer machen. Und der Leser fragt sich, wie das dann überhaupt mit der Empfehlung, „das Kompetenzmodell für sowohl Personalauswahl als auch Personalentwicklung zu nutzen“, funktionieren kann.