REZENSION: Carsten Schermuly – Erfolgreiches Business-Coaching: Positive Wirkungen, unerwünschte Nebenwirkungen und vermeidbare Abbrüche. Beltz 2019.
Seit Jahren vernimmt das Publikum die vielversprechende Botschaft: Coaching wirkt – und zwar positiv. Carsten C. Schermuly, Wirtschaftspsychologie-Professor an der SRH Hochschule Berlin, verfolgt mit dem Plural „Wirkungen“ im Untertitel eine differenzierende Sicht: Neben positiven kann es negative oder neutrale Wirkungen geben. Und neben beabsichtigten sind gleichfalls unbeabsichtigte Wirkungen möglich.
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Der Leserschaft wird der Sinn wissenschaftlicher Arbeit so unmittelbar einsichtig: Scheinbar plausible, aber bislang unhinterfragte Behauptungen werden in Frage gestellt und untersucht. Schermuly folgend, ergeben sich sechs Wirkungsklassen: Neben dem intendierten – und gerne berichteten – positiven Effekt werden Missbrauch (intendierter negativer Effekt) und Boykott („ins Coaching geschickte“ Klienten sabotieren die Veränderungsarbeit: kein Effekt) sowie positive und negative nicht intendierte Nebenwirkungen (Coaching führt zur Team- oder Organisationsentwicklung bzw. Klient zweifelt an seiner Kompetenz und fixiert sich auf die Hilfe des Coachs) und Misserfolg (Ziele werden nicht erreicht) sichtbar.
Ergebnisse der Forschungsgruppe
Nach einer kurzen und kurzweilig zu lesenden Einführung in die Coaching-Forschung und in professionelle Evaluationsansätze widmet sich Schermuly den entdeckten Wirkungsklassen und stellt die Ergebnisse seiner Forschungsgruppe vor. Dabei wird schnell deutlich: Die Bewertung von Wirkung lässt sich nicht absolut treffen, wie sich das gar mancher wünschen mag, sie hängt vielmehr von der Perspektive ab. „Nebenwirkungen [treten] für Coaches und Klienten regelmäßig in Coachings auf (…) [sie] dürfen nicht mit Misserfolg gleichgesetzt werden“ (S. 213). Der Schwerpunkt der Betrachtung des Autors liegt im Folgenden auf positiven Effekten sowie den negativen Nebenwirkungen für Klienten. Ebenfalls werden Coaching-Abbrüche durch Klienten und negative Nebenwirkungen für Coaches berichtet.
Professionelle Coachings wirken positiv, z. B. auf die Leistungsfähigkeit, die Selbstregulation, die Arbeitseinstellung und das Wohlbefinden von Klienten. Das führt Schermuly im Detail (Coach-, Klienten-, Organisations- und Prozessvariablen) aus und so leichtverständlich, dass auch psychologische Laien ein Grundverständnis der eher schwierigen statistischen Materie von Metaanalysen erhalten. Doch es können auch unerwünschte Nebenwirkungen auftreten. Die Berliner Forschergruppe hat hierzu insgesamt zehn Studien durchgeführt. Zu den negativen Nebenwirkungen auf der Seite der Klienten gehört insbesondere, dass im Coaching tiefergehende Probleme angestoßen, aber nicht mehr bewältigt werden können; oder dass die Arbeitszufriedenheit sinkt und die Arbeit für den Klienten sogar an Bedeutsamkeit verliert; auch verschlechtert sich öfters die Beziehung zum Vorgesetzten. Solche Effekte treten regelmäßig in Coaching-Prozessen auf, haben aber eher eine niedrige bis mittlere Intensität und sind von kürzerer Dauer.
Ein Branchen-Tabu
Coaching-Abbrüche werden regelmäßig registriert, das ist eine neue Botschaft des Autors für das Publikum. Offenbar lüftet er mit seiner Forschung den Schleier um ein Branchen-Tabu. Solche Abbrüche erscheinen aber, verglichen mit Therapieprozessen, nicht außergewöhnlich, dort liegen sie noch viel höher. Der Abbruch erfolgt zumeist in der Mitte von Coaching-Prozessen (7,5 Stunden, Standardabweichung: 5,14). Als Gründe geben die befragten Coaches an, dass der Abbruch dann erfolgte, wenn der Klient mit tieferliegenden Problemen, die er aber nicht bearbeiten wollte, konfrontiert wurde. Auf Platz 2 folgt die zu geringe Veränderungsmotivation. Dass die Erwartungen des Klienten nicht erfüllt wurden, ergibt den dritten Platz. Und zu geringe Selbstmanagementfähigkeiten besetzen den vierten Platz. Hier fehlt sicher das Votum der Klienten zum Vergleich. Doch dürfte es methodisch nicht leicht sein, dieses zu erheben.
Dass es negative Effekte von Coaching auch für Coaches geben kann, stand bislang wenig im Vordergrund. Doch scheinen die Coaching-Inhalte die Coaches oft persönlich stark betroffen zu machen. Sie hadern damit, ob sie ihrer Rolle gerecht werden können, sind aber auch regelmäßig enttäuscht, weil sie Langzeiteffekte des Coachings nicht beobachten dürfen. Coaches berichten negative Nebenwirkungen von Coaching dreimal häufiger als Klienten! Das sollte nachdenklich machen. Solche Befunde lenken den Blick auf wichtige zu erledigende Hausaufgaben: Verbesserung der Coach-Kompetenz, professionelle Supervision, Klärung der Erwartungen der Klienten sowie die Implementierung eines systematischen organisationalen Transfers.
Das Buch ist ein Meilenstein für Praktiker wie für Coaches, leicht verständlich geschrieben und liebevoll mit zahlreichen Praxisbeispielen bestückt.