KRITIK: Mit den Führungskräften steht und fällt der Erfolg einer Organisation. Zu dumm, dass deren Rolle immer komplexer und schwieriger wird. Das überfordert viele, also müssen sich Unternehmen etwas einfallen lassen. Drei große Firmen haben sich Gedanken gemacht.
Was hat sich überhaupt so dramatisch verändert? Los ging es mit dem Process Reengineering Anfang der 90er. Bürokratische Strukturen wurden abgebaut, alles wurde entlang der Wertschöpfungsketten organisiert, ganze Teile „outgesourct“, viele klassischen Funktionen entfielen. Dann kam die Digitalisierung, Mitarbeiter hatten plötzlich Zugang zu Informationen, die nicht mehr allein den Führungskräften vorbehalten waren. Ihr Einfluss sank, sie mussten Kontrolle abgeben und verloren an Status. Es folgte die agile Bewegung, Mitarbeiter sind noch mehr in vielen Teams unterwegs, entziehen sich der Kontrolle der Vorgesetzten, entscheiden selbstständig innerhalb der Teams. Und schließlich Corona mit der Folge, dass Mitarbeiter von überall ihren Job erledigen können. Arbeitsort und -zeit flexibel sind, die Führungskräfte kriegen ihre Mitarbeiter kaum noch zu Gesicht.
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Man könnte eigentlich ganz auf sie verzichten. Wären da nicht immer wieder die gleichen Berichte und Studien, die zeigen, wie wichtig „gute“ Führung für die Motivation und den Erfolg von Teams sind. Und dass vor allem die gute Beziehung zu Vorgesetzten Mitarbeiter im Unternehmen hält, schlechte Führung hingegen die Menschen vertreibt. Also hören wir immer wieder, dass Führung wichtiger denn je ist. Was folgt daraus?
Wie wichtig ist „gute“ Führung?
An drei Beispielen zeigen Autoren im Harvard Business Manager, wie Unternehmen das Problem lösen wollen (Manager können nicht alles machen). Die englische Bank Standard Chartered versucht es mit einem neuen Titel. Statt „Manager“ heißen Führungskräfte dort jetzt „People Leaders“, und diese werden nach neuen Kriterien ausgewählt. Z.B. wie gut jemand Vertrauen aufbauen oder ob er mutige Entscheidungen treffen kann. Coaching wird zur zentralen Managementkompetenz, es soll nicht mehr kontrolliert, sondern kontinuierlich Feedback gegeben werden. Man spricht vom Aufbau einer „tiefgreifenden Coachingkultur.“
Bei IBM geht man einen anderen Weg. Als IT-Unternehmen setzt man darauf, Führungskräften mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben einzuräumen, was über die Digitalisierung ihrer Arbeit funktionieren soll. Lustig: Als Beispiel wird das Genehmigen von Spesenabrechnungen genannt. „KI-gestützte Programme helfen, Probleme wie drohende Kündigungen zu erkennen. Sie erleichtern Führungskräften auch, Gehaltserhöhungen festzulegen.“ Die Software macht offenbar Vorschläge hierzu, weil sie Leistung erfasst und marktübliche Bezahlung kennt. Auch ganz witzig: Führungskräfte müssen Lizenzen erwerben, z.B. eine Lizenz zur Einstellung von Personal. Und siehe da: Die von ihnen eingestellten Mitarbeiter übertreffen nach sechs Monaten 7 Prozent häufiger die Erwartungen und verlassen das Unternehmen seltener. Mit anderen Worten: Bringt man Führungskräfte bei, wie man Kandidaten auswählt, können sie es besser. Ach ja: Es gibt zudem einen „Manager Success Index,“ und je nach Abschneiden werden Führungskräfte zu einem Schulungsprogramm eingeladen. Wer das durchläuft, erzielt danach bessere Ergebnisse.
Bei Telstra, einem Telekommunikationsunternehmen in Australien, geht man noch weiter. Man hat nur noch drei Führungsebenen und es gibt jetzt zwei Management-Rollen: Den „Leader of People“ und den „Leader of Work“. Beide stehen auf einer Ebene und werden auch gleich bezahlt. Der erste kümmert sich um die Mitarbeiterentwicklung für alle, die ähnliche Aufgaben haben (z.B. für alle Finanzplaner), solche Gruppen nennt man „Chapter“. Ihr Erfolg wird durch Net Promotor Scores erfasst. Die Leader of Work haben keine Personalverantwortung (daraus schließe ich, dass diese von ersteren wahrgenommen wird), sie planen und organisieren die Arbeit und die Projekte und werden an deren Erfolg gemessen.
Schöner Schein
Mit anderen Worten: Die Bank bringt Führungskräften bei, sich wie Coachs zu verhalten, macht sie aber weiter für die Ergebnisse verantwortlich. Man setzt also auf „bessere“ Führung und lässt im Grunde die alte Ordnung bestehen.
Bei IBM lässt man im Grunde auch alles beim Alten und glaubt, wenn man Führungskräften mehr Tools und Instrumente dank der Digitaliserung an die Hand gibt, ihre Ergebnisse noch genauer misst und sie fleißig schult, sie ihre (alte) Rolle besser ausführen können.
Telstra hingegen trennt den Umgang mit Mitarbeitern und die Organisation der Arbeit, verteilt die klassischen Führungsaufgaben also auf mehrere Schultern. Das wird in der Tat zur Entlastung führen und könnte helfen, dass diejenigen, die sich um die Menschen kümmern (Leader of People), tatsächlich eine andere Rolle einnehmen werden. Wobei auch hier das alte Dilemma bleibt: Coach (der die Entwicklung unterstützt) und Vorgesetzter (der die Leistung bewertet, einstellt und entlässt) in einer Person ändert wenig an dem alten Abhängigkeitsverhältnis.