KRITIK: Ich tue mich schwer mit dem Thema „Künstliche Intelligenz“, speziell auf dem Gebiet des Personalmanagements. Die Verheißungen klingen vertraut: Alles geht schneller, wird billiger und der Personaler wird in seiner Arbeit entlastet. Dazu kommt: Personalarbeit wird weniger subjektiv, endlich kann auch der Personaler faktenbasiert entscheiden und muss sich nicht mehr auf seine Intuition verlassen. Und für die Bewerber geht es fairer zu – zumindest, wenn die Algorithmen vorurteilsfrei entscheiden (was vielerorts bezweifelt wird).
Ein bisschen ist das so wie mit Testverfahren: Sie bieten verlässliche Ergebnisse und sind, anders als z.B. Einstellungsgespräche, nicht abhängig von der Subjektivität der Beurteiler. Dank künstlicher Intelligenz können nun aber noch viel mehr Prozesse automatisiert und objektiviert werden. Das beginnt schon bei der Erstellung der Stellenanzeigen, die von Robotern passend zur Jobfamilie verfasst, mit den richtigen Begriffen (Keywords) versehen und auf dem Jobportal platziert werden, das die geeignetsten Bewerber erreicht (Roboter sucht Kollegen). Mehr noch: KI sucht aktiv nach Kandidaten im Internet, z.B. in allen sozialen Netzwerken und pickt sich die geeigneten heraus (Active Sourcing).
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Alles vollautomatisch?
Wenn diese sich nun bewerben, werden ihre Unterlagen „gescreent“, nach Kriterien durchforstet und bewertet und dann eine Vorauswahl getroffen. Nicht auf eine Stelle passenden Bewerbern werden automatisch Alternativen angeboten.
Dann nimmt der Roboter Kontakt zum Bewerber auf, führt ein erstes Bewerbungsgespräch, wertet die Reaktionen, die Stimme, Tonlage und Pausen aus und erstellt „eine automatisierte Persönlichkeitsanalyse“. Am Ende übernimmt er natürlich auch die Erstellung des Arbeitsvertrags.
Verlockend, oder? Man ist die lästigen Arbeiten los und fühlt sich sogar besser, weil all das ja viel zuverlässiger und mit weniger menschlichen Fehlern behaftet ist. Das Geniale an der künstlichen Intelligenz der neuen Generation ist nämlich, dass sie lernfähig ist. Anders als bei den Chatbots (das sind die Maschinen, die uns am Telefon oder in Chaträumen begrüßen und unsere Fragen beantworten) von heute, die uns durch ein Gespräch leiten und lediglich vorgefertigte Antworten von sich geben, erkennen die Roboter Muster in unseren Antworten. Sie merken, wann wir uns ärgern, ratlos oder erfreut sind, reagieren dann mit Alternativen. Sie merken sich, was funktioniert und ziehen eigene Rückschlüsse. Nach und nach werden sie immer besser, bis wir gar nicht mehr merken, dass wir es mit Maschinen zu tun haben.
Wie im Paradies?
All das liest sich so, als könne der gesamte Prozess der Einstellung von Mitarbeitern Maschinen übergeben werden, so wie wir heute Produkte wie Autos und Möbel und Medikamente von Maschinen selbstständig produzieren lassen und Mitarbeiter nur noch dann eingreifen müssen, wenn etwas schief läuft.
Es geht aber noch weiter: Wenn Mitarbeiter dann im Unternehmen sind, werden sie weiter von künstlicher Intelligenz „geführt“. Die Roboter analysieren ihre Mails, ihre Chats, ihre Telefonate (Sentiment-Analyse), erkennen, wenn sie unzufrieden sind, wenn ihnen Wissen fehlt, welcher Mitarbeiter über dieses Wissen verfügt und informiert den Personaler, wenn z.B. eine Kündigung droht, wenn Personalentwicklungsbedarf besteht usw. Sehr gut, dann kann man sich nicht nur die Mühe eines Bewerbungsgespräches ersparen, sondern auch Mitarbeiterbefragungen oder Entwicklungsgespräche – immer mehr kann an den Roboter delegiert werden.
Und die Risiken?
Diese werden durchaus gesehen (Automatisierung in der Führung). Die Anbieter preisen die Segnungen der Technologien und verkaufen sie, die Personaler erliegen dem „Sang der Sirenen“ und setzen sie voreilig ein. Wohlwissend, dass die Technik kaum auf die Belange ihres Unternehmens angepasst ist und den Kontext ignoriert. Die Anbieter halten dem entgegen, dass ihre Software ja lernen wird, auch diese unternehmens- oder branchenspezifischen Anforderungen zu integrieren („Künstliche Intelligenz kann die Welt besser machen“). Was ich sehr bezweifle, denn ob ein Kandidat in mein Team passt, wird keine Software der Welt sagen können, denn die Zusammensetzung von Teams ändern sich ständig, ebenso wie die Beziehungen untereinander als auch die Aufgaben.
Ein weiterer Kritikpunkt: KI entlastet möglicherweise bei vielen Prozessen, aber sie entlastet auch in Sachen Verantwortungsübernahme. Ist doch wunderbar: Wenn der Kandidat sich nicht so entwickelt wie gedacht, dann ist das entweder das Programm schuld oder der Kandidat, aber auf keinen Fall der einstellende Personaler. Schließlich hat er ja nur das umgesetzt, was der Roboter vorgeschlagen hat. Sicher, alle Vertreter betonen immer wieder, dass die letztliche Verantwortung für die Entscheidung beim Menschen liegt. Aber warum sollte dieser sich gegen eine Empfehlung der Maschine entscheiden, wenn diese doch so lernfähig ist?
KI macht faul
Auch ein Thema, über das man viel diskutieren kann: Verlernen wir mit all diesen Hilfsmitteln das eigene Denken? Es ist ja jetzt schon so, dass wir kaum noch selbstständig Probleme lösen – es gibt ja für jede Frage Antworten im Netz. Wozu noch lernen, ich kann doch alles nachschauen. Verlernen wir auch noch den Umgang miteinander, wenn wir dafür Roboter zu Rate ziehen?
Und schließlich eine Kritik, die ich für sehr entscheidend halte: Man darf die Intelligenz der Menschen nicht unterschätzen. Je mehr Kontrolle die Maschinen übernehmen, desto größer könnte die „Reaktanz kluger Menschen“ ausfallen. Wer sich kontrolliert und beoachtet fühlt, wird anfangen, das System auszutricksen und „bewusst Grenzen austesten“. Die Entwickler werden ihre Systeme weiter optimieren, um Manipulationen zu erkennen, und das wird den Widerstand vergrößern. Die Anbieter „raten zu Systemen, die von einem Trainer überwacht werden“ (Hallo, wie kann ich helfen?). Immerhin, so werden neue Arbeitsplätze entstehen. So wie bei Facebook, wo unzählige Mitarbeiter versuchen, all den Müll zu löschen, der dort eingestellt wird.
Laut einer Umfrage unter 221 Bewerbern ist die Akzeptanz von „Robot Recruiting“, zumindest im Moment, gering. Nur 5% fänden es z.B. akzeptabel, wenn erste Interviews von einem sprachgesteuerten Assistenen durchgeführt werden, nur 2%, wenn mit Hilfe von KI die Persönlichkeit auf Basis von Sprache analysiert würde.
Noch radikaler formuliert es Reinhard Sprenger in der Wirtschaftswoche (Maschinelle Zuchtwahl): Einerseits verabschieden wir uns von dem Modell der „Maschinenlogik der Unternehmensführung“ und setzen auf vernetzte Teams, den Menschen vor Ort und seine Intelligenz im Team. Andererseits wollen wir Maschinen Mitarbeiter einstellen lassen – „grotesk und tragisch“.