26. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Große und kleine Schleichwege

INSPIRATION: Ganz gleich, in welcher Gemeinschaft man lebt oder arbeitet: Überall gibt es Regeln, und ebenso gibt es überall Regelüberschreitungen. Beide sind notwendig und bedingen sich gegenseitig. Aber der Grad zwischen nützlicher und schädlicher Regelüberschreitung ist schmal. Kann man diesen überhaupt sinnvoll gestalten?

Schwierig, sagt Stefan Kühl in der managerSeminare (Relevante Grauzonen). Er nennt erstere „brauchbare“ und letztere destruktive Illegalität. Brauchbar sind Regelverletzungen dann, wenn widersprüchliche Erwartungen aufeinander prallen. Der Klassiker: Einerseits soll man sich an Sicherheitsvorschriften halten, andererseits muss es manchmal schnell gehen. Das verträgt sich nicht immer. Problem dabei: Die eine Regeln sind offiziell, sind auch schriftlich fixiert, die anderen sind eher „informale Verhaltenserwartungen“.


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Entscheidet sich der Mitarbeiter, den Erwartungen zu entsprechen und die Sache geht schief, muss er damit rechnen, dass mit dem Finger auf ihn gezeigt wird. Der Regelbruch wird personalisiert, die Schuld beim Ausführenden gesucht, der im Extremfall aus dem System entfernt wird. Die Führung will dann häufig von nichts gewusst haben. So wie in den Action-Filmen „Mission Impossible“: „Scheitert die Mission, sind Sie auf sich allein gestellt!“

Das Interessante daran ist laut Kühl, dass diese Regelverletzungen die offiziellen Regeln sogar stärken. Würde man tatsächlich darauf achten, dass alle Regeln peinlichst genau befolgt werden, müssten diese vermutlich ständig geändert werden, weil es immer wieder Situationen gibt, in denen sie dem notwendigen Verhalten im Weg stehen. So aber, wenn sie hin und wieder ignoriert werden, können sie beibehalten werden, gehen also aus dem Regelbruch gestärkt hervor, schließlich scheinen sie ja zu funktionieren.

Die Regeln selbst sind im Grunde der Kitt, der die Organisation zusammenhält, sie stehen für Berechenbarkeit und Verlässlichkeit. Die Regelbrüche, die kleinen und großen Schleichwege, sind ein „Schmiermittel, damit Regeln im Grundsatz funktionieren“.

So weit, so gut. Zumal die meisten Regelverletzungen gar nicht entdeckt werden. Und viele von ihnen als ungeschriebene Vereinbarungen akzeptiert werden. Die Mitglieder einer Organisation wissen, was noch toleriert wird und wo es kritisch wird. Und sie fungieren sogar als Belohnungssystem: „Erlaubst du mir hier die Übertretung der Regel („Ich gehe heute etwas früher!), dann sehe ich dir an anderer Stelle einen „Schleichweg“ nach“ („Rechne meinetwegen etwas mehr ab, ich drücke ein Auge zu!“).

Irgendwann aber wird die Grenze zur Verletzung von Gesetzen überschritten, es kommt zu einem Skandal. Mit der oben beschriebenen Folge. Die typische Konsequenz ist eine Verschärfung der Regeln und eine strengere Kontrolle ihrer Einhaltung. Was dazu führt, dass die „Einhaltung von Regeln wichtiger wird als das zu erreichende Ziel!“ Dann heißt es „Dienst nach Vorschrift machen“, was das Ende jeder Organisation bedeutet. Schon witzig: Je strenger die Regeln, umso mehr Regelbrüche müssen zwangsläufig stattfinden. Ein bemerkenswertes Dilemma.

Was ist also zu tun, um die Balance zu bewahren zwischen dem Einhalten und dem (akzeptierten) Überschreiten der Regeln? Ein Rezept gibt es nicht, wäre ja auch zu schön. Zwei Dinge sollte man nicht tun laut Kühl: Moralisieren, also den Regelbrecher als respektlos, charakterschwach, illoyal oder was auch immer brandmarken. Dann wird jeder Regelbruch maximal verschleiert und auf keinen Fall angesprochen. Man sollte auch keine Workshops zur Fehlerkultur veranstalten, weil hier auf keinen Fall über die wirklich riskanten Schleichwege gesprochen wird, denn das würde automatisch Empörung und Verurteilung auslösen und zur oben erwähnten Personalisierung führen.

Stattdessen sollte man Sachthemen in den Mittelpunkt stellen. Also in Workshops zum Beispiel darüber reden, welche Probleme es gibt und wie man sie lösen kann. Dabei kommt automatisch zur Sprache, an welchen Stellen Mitarbeiter gezwungen sind, Ausweichmanöver zu unternehmen. Die Wahrscheinlichkeit, dann andere Lösungen zu finden, steigt.
Ein kluges Wording ist ein weiterer Tipp: Man könnte von „Nutzung von Spielräumen“ sprechen oder von „agilem Manövrieren“. Das macht es vorsichtigen Mitarbeitern leichter, die schwierigen Fälle anzusprechen. Und man sollte das Thema „Regelbruch“ in eher kleinen Gruppen diskutieren, am besten in der Zusammensetzung, in der im Alltag ohnehin über diese Fälle geredet wird, unter Kollegen, in Teams. Anschließend kann man diese Resultate dann auch anonymisiert in größere Kreise tragen.

Mit anderen Worten: Alles dreht sich um eine angemessene und behutsame Kommunikation. Nur so scheint man das Thema lebendig halten zu können, bevor ein Knalleffekt wie die Dieselaffäre eine konstruktive Auseinandersetzung unmöglich macht. Was für mich das Dilemma von Führungskräften nicht löst: Sollen diese offen mit Mitarbeitern über diese Schleichwege reden? Dann sind sie „Mitwisser“ und können nachher nicht behaupten, von nichts gewusst zu haben. Wäre es denkbar, dass sich auch Führungskräfte mit ihren Kollegen in kleinem Kreis über solche Themen austauschen? Auch das müsste äußerst behutsam geschehen und setzt viel Vertrauen voraus, denn wer wird schon ehrlich zugeben, dass er in seinem Bereich regelmäßig bezüglich bestimmter Regeln ein Auge zudrückt?

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