Kritik: Das Wesen der Verwaltung liegt in Effizienz und Effektivität. Und das ist gut so. Aber es reicht nicht für die Bewältigung des Lebens in seiner Dynamik und Komplexität. Daher der allgegenwärtige Ruf nach Bürokratieabbau.
Doch er greift zu kurz, greift sogar daneben. Aber so weit geht der Autor (Das Unveränderbare verändern) – leider – nicht. Er verweist auf drei Faktoren, die sich gegenseitig verstärken:
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- Gesetzmäßigkeit: Verwaltungen setzen Gesetze um. „Im Ergebnis sieht man in der Verwaltung streng normierte Tätigkeiten, deren prozessuale Umsetzung verfahrensrechtlich festgeschrieben ist.“ Das meint Exploitation – nicht Exploration. Das System an Regeln ist komplex und untereinander hochverwoben. Hinzu kommt ein Tarifrecht mit seiner eigenen Rigidität.
- Organisationsstrukturen: Hier herrschen hierarchische Strukturen. Somit typische Silos. Das System ist stabil und unterkomplex. Kommt die Pandemie, eine Flüchtlingskrise oder eine andere dynamische Entwicklung, erweist es sich als überfordert.
- Institutionelle Logik: In der Verwaltung herrschen Normen, Werte, Überzeugungen, die das Verhalten der dort Tätigen prägen. Die Organisationskultur ist durch Risiko-Aversivität, Absicherungsdenken und Spezialisierung geprägt. Juristisches Denken dominiert. Und da es keinen „Markt“ gibt, die Verwaltung ein Monopolist ist, sitzt man Probleme lieber aus, als sie zu lösen. Das System reproduziert sich durch eine veränderungsresistent komplettierende Rekrutierungsstrategie.
Verwaltung oder Gestaltung?
Wie kommen wir aus dem Schlamassel heraus? Die Verwaltung abzuschaffen, ist keine Lösung. Da stimme ich dem Autor zu. Es gäbe sonst bloß Willkür, das Recht des Stärkeren. Autor Kaiser schlägt einen hybriden Ansatz vor. Wo so viel Exploitation herrscht, müsste man Exploration hinzufügen. Er rät zu einer Doppelstruktur, der Ambidextrie: Mehr Projekte, mehr Teams, die parallel und quer arbeiten. Das dürfte zusätzliches Geld kosten. Wer ist bereit, das zu finanzieren? Und, Hand aufs Herz: Gibt es nicht andernorts schon genügend Kritik an ambidextren Experimenten?
Das Konstruktionsprinzip der Verwaltung beruht auf dem Ausklammern des Politischen. Sie setzt nur um: Exekutive. Also liegt der Hebel der Veränderung in der politischen Arena: beim Gesetzgeber. Schafft dieser es, gute Gesetze zu beschließen? Oder solche mit einem Haltbarkeitsdatum? Sicher keine dummen Ideen. Doch Autor Kaiser befasst sich nicht damit. Es sind andere Stimmen im Schwerpunktheft, die solche Impulse geben. Torsten Dubbermann beispielsweise (Augenrollen inklusive) gibt zu bedenken, dass die Mitarbeiter in den Verwaltungen nicht bloß Besitzstandswahrer seien, sondern oftmals auch Bewahrer der Güte und Rechtssicherheit. Dieses hohe Gut sehen sie durch die wütenden Attacken der populistischen „Maschinenstürmer“ – zurecht – bedroht. Und dann gibt es da auch noch die Selbstverwaltung in der Verwaltung – also Mitbestimmungsmöglichkeiten. Politische Gestaltungspotenziale bestehen eben nicht nur extern, sondern auch intern.
Jenseits von schwarz-weiß
Denken wir Veränderungsmöglichkeiten noch weiter, kommen wir zur spannenden Frage, ob die stark hierarchische und nach Zuständigkeit sortierte Arbeitsorganisation in der Verwaltung sakrosankt sein muss. Schließlich hat man in den 1990er-Jahren in der Industrie schon erfolgreich mit Gruppenarbeitskonzepten experimentiert. Das wurde auch hier und da in Verwaltungen aufgegriffen. Ist darüber schon wieder Gras gewachsen? „Nach wie vor eher innovationsfeindliche Verwaltungskulturen, klassische Ämterstrukturen, seit vielen Jahren unverändert ablaufende, überwiegend papierbasierte und wenig kundenzentrierte Geschäftsprozesse, eine oft noch zu wenig zeitgemäße technologische Ausstattung, sowie tendenziell unterprofessionalisierte Personalentwicklungslandschaften.“ Autorin Claudia Schneider (Vom Ausführen zum Gestalten) steckt den Finger in die Wunde: Die Anforderungen an Flexibilität steigen enorm, doch die Verwaltung verharrt im letzten Jahrtausend. Heute reden alle von Agilität. Aber nicht in der Verwaltung?
Es beginnt mit der Basis: den Kompetenzen (Können). Sind sie vorhanden? Dann müssen Führungskräfte die Mitarbeiter auch lassen (Dürfen). Und diese müssen sich auch trauen (Wollen). Denn die Kultur lautet: Wir können (und wollen) eh nichts verändern! Die geneigte Leserschaft spürt – wie ich – vermutlich die bleierne Trägheit zwischen diesen Zeilen. Hat da jemand den Begriff „Selbstorganisation“ in den Mund genommen? Das klingt nach schierer Ungewissheit und überfordernder Verantwortungslast.
Wenn das Türchen des Vogelkäfigs geöffnet wird
Früher wurde man Führungskraft in der Verwaltung, weil man der fachlich Beste war. Jetzt soll man Sozialkompetenzen zeigen. Woher soll die den plötzlich kommen? Autorin Schneider rät, zunächst den Selbstorganisations-Reifegrad zu checken. Den Köder mag das Verwaltungsvolk fressen und sich in den Change involvieren lassen. Wissenschaftlich betrachtet ist das allerdings Mumpitz. Doch vielleicht funktioniert das wie bei den berühmten Skalierungen im lösungsfokussierten Ansatz nach De Shazer und Berg? Die Expertin weiß, dass die genannten Einschätzungen höchst relativ und subjektiv sind. Aber mit den Unterschieden kann man wunderbar arbeiten: „Was wird anders sein, wenn du in der nächsten Woche von der 3 auf die 4 kommst?“
Es gibt nichts Gutes, außer man tut es (Erich Kästner)
Es wird ein Praxisbeispiel (Stadtgärtnerei) für die Arbeit mit diesem Ansatz vorgestellt. Das ist paradox aufgebaut. Man verspricht den Mitarbeitenden, man wolle nur experimentieren. Wenn sich das Neue nicht bewähre, würde man wieder zum Status quo zurückkehren. Doch wer kann schon zweimal in denselben Fluss steigen? Über 15 Monate hinweg wurde kleinschrittig Veränderungsarbeit projektmäßig betrieben. Flankiert durch Personalentwicklungsmaßnahmen, Supervisions- und Einzel-Coaching-Angebote.
Na, geht doch! Es braucht offensichtlich viel Unterstützung und klares Wollen von oben. Dann geht es schon. Und es bleibt nicht bei Solitären in der Landschaft. Es gibt inzwischen etliche gelungene Praxisbeispiele – ob vom Bauhof (Ton, Steine, Scherben) oder vom Jobcenter (Das Jobcenter als lernende Organisation) – daher wundere ich mich einfach nur, mit wie viel Vorsicht, „Schiss in der Buchse“ und Misserfolgsdeterminierung das Thema Verwaltungsmodernisierung immer noch erzählt wird.