INSPIRATION: Persönlichkeitsverfahren werden hierzulande gerne in Trainings eingesetzt. Oft wird das damit begründet, dass man den Mitarbeitern zu einer neuen Selbsterkenntnis verhelfen möchte – nach dem Motto: Selbsterkenntnis kann ja nicht schaden! Aber auch die anderen Beteiligten in einer solchen Runde bekommen dabei Informationen über „Müller“. Und damit nimmt das Unheil seinen Lauf. Denn oft sind die Trainer, die solche Verfahren durchführen, nicht kompetent genug. Und die Teilnehmer erst recht nicht. So kommt es zu allerlei Missverständnissen.
Es bleibt nicht bei der allgemeinen Erkenntnis „Jeder Jeck ist anders“. Sondern „Müller“ gilt ab sofort als emotional labil. Aus der Ecke kommt er vermutlich kaum mehr heraus. Nicht bedacht wird, dass es sich bei solchen Diagnosen lediglich um Selbstbeschreibungen handelt – und nicht um objektive Erkenntnisse. Sie werden aber vom Publikum gerne verkürzt zu Etiketten umgedeutet, mit denen dann Menschen in Schubladen gesteckt werden. Abzuraten ist insbesondere von Typentests, die Menschen in bspw. vier Typen sortieren. Das ist recht populär: Du bist der Rote, ich der Grüne. Es hat sich wissenschaftlich bislang aber nicht bewährt, so die Autoren, Martin Kersting und André Beauducel (Gewollt ist nicht gleich gekonnt).
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Impression-Management?
Denkbar ist aber, dass „Müller“ etliche Fragen im Fragebogen nicht richtig verstanden oder gezögert hat, eindeutige Statements abzugeben. Oder das Gegenteil: Er hat „den Braten gerochen“ und wollte sich als „guter“ Mitarbeiter ausgeben. Man nennt das Impression-Management. Womit sich die Frage stellt, was ist denn ein „guter“ Mitarbeiter? Handelt es sich dabei um ein stereotypes Bild? Zum Beispiel: Wir im Vertrieb sind extravertiert, emotional stabil, weniger gewissenhaft … Was man auch so übersetzen könnte: Wir sind Labertaschen, unsensible Dampfwalzen und versprechen dem Kunden gerne das Blaue vom Himmel …
Irgendetwas läuft hier gravierend schief, nicht wahr? Die Autoren sind Hochschulprofessoren und Experten zum Thema und sie legen mit ihrem Beitrag den Finger in so manche Wunde der betrieblichen Praxis. Ein guter Diagnostiker würde sich niemals auf nur eine einzelne Quelle verlassen. Er würde neben der Selbstbeschreibung weitere Daten erheben und zu einem Gesamtbild zusammenfügen.
Schubladendenken
In der Praxis wird jedoch aus der gut gemeinten Idee, die Mitarbeiter für Persönlichkeit und für Veränderungen derselben zu sensibilisieren, schnell das Gegenteil: Man wird auf ein Profil festgenagelt. Was fatal und unsinnig ist, denn: „Insgesamt handelt es sich bei der Persönlichkeit und ihrer Dynamik um eine komplexe Interaktion zwischen genetischen, Persönlichkeits- und Umweltfaktoren, wobei die Umwelt die Persönlichkeit beeinflusst und die Persönlichkeit darüber mitentscheidet, welche Umwelten aufgesucht werden.“
Nun werden viele abwehrend sagen, sie hätten ihr Ergebnis doch als sehr zutreffend zur Kenntnis genommen. Kein Wunder, sie haben es ja selbst produziert. Oft werden bei Testverfahren auch allgemeine Aussagen in die Ergebnisdarstellung eingewoben, z. B. „Rückschläge und Erfolgserlebnisse gehören für Sie gleichermaßen zum Leben.“ Wer würde da nicht nicken? Man nennt das in der Wissenschaft den „Forer-Effekt“ (Täuschung durch persönliche Validierung).
Warum Persönlichkeit erforschen?
So stellt sich die Frage, wie man es besser machen kann. Mit Hinweis auf die inzwischen 20 Jahre alte, aber immer noch nicht genügend bekannte DIN 33430 raten die Autoren, mit einem Anforderungsprofil zu starten: Was genau möchte man mit dem Einsatz eines Persönlichkeitsverfahrens erreichen? Wie will man mit Ergebnissen umgehen und welche Konsequenzen soll das haben? Trainer, die hier keine überzeugenden Antworten liefern können oder sich herausreden, sollte man nicht auf die Mitarbeiter loslassen. Denn: Zu Risiken und Nebenwirkungen … Zu den Hausaufgaben, die diese Trainer zu machen hätten, gehört, sich mit der Norm 33430 und weiteren professionellen Verfahrenshinweisen und Richtlinien des Diagnostik- und Testkuratoriums (DTK) zu beschäftigen und zu professionalisieren.
Die Botschaft höre ich wohl, doch die Bereitschaft, sich darauf einzulassen, scheint mir, wenn ich auf die letzten zwei Dekaden schaue, unter Trainern nicht gerade stark ausgeprägt zu sein. Was ich bedauere. Es bleibt zu hoffen, dass die Erfahrungen mit der Corona-Testerei gar manchen nun nachdenklich gemacht haben: Es gibt definitiv falsch negative Testergebnisse …