INSPIRATION: Das ist der alte Menschheitstraum vom Paradies: Automatische Führung. Ach, was wäre das schön! Es würde alles wie am Schnürchen laufen. Von selbst und optimal. Ein Rädchen griffe ins andere. Perfekt!
Führungskräfte müssten sich nicht mehr mit Mitarbeitenden rumquälen. Sie müssten sich deren „dummes“ Gesicht nicht mehr ansehen, wären von deren Körpergeruch verschont, bräuchten deren garstigen Widerworte nicht mehr ertragen. „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken,“ wird schon dem Nazarener zugesprochen (Mt 11,28). Dieser alte Traum lebt weiter. Und seit Erfindung der Dampfmaschine und des Taylorismus hat er sich zur modernen Prophezeiung gemausert. Und jetzt kommt KI: Bingo!
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Also kann KI das? Führung
Die Autor:innen (Die Automatisierung von Führungsfunktionen) haben für die Beantwortung der entscheidende Frage eine umfangreiche Literaturanalyse vorgenommen. Und in der Tat gibt es Forscher, die die Frage ohne Einschränkung bejahen: „Sämtliche Führungsfunktionen [sind] potenziell automatisierbar.“ Und dann folgen auch eine Reihe an Unternehmensbeispielen, die das illustrieren sollen. Allen voran Uber und Amazon. Der Onlinehändler hatte den internen Personalauswahlprozess mit KI betrieben, und damit gleich das abschreckende Gegenteil produziert: Es wurden Frauen diskriminiert.
Dann gibt es da noch „Task Rabbit“, eine digitale Plattform, die Arbeitskräfte für Haushaltsaufgaben anbietet. Und „Mechanical Turk“, eine von Amazon gestaltete Plattform für allgemeine Dienstleistungen. Beide Firmen bieten Crowdworker oder Freelancer als Arbeitskräfte an. Oder der Hongkonger Risikokapitalgeber „Deep Knowledge Ventures“, der automatisierte Investitionsempfehlungen für Unternehmen des Life-Science-Bereichs ermöglicht. Das kanadische Unternehmen „Klick“ hat kein traditionelles Personalwesen mehr. Das wurde alles automatisiert. Und das Start-up B12 nutzt eine KI zur Automatisierung seines vollständigen Projektworkflows. – Offensichtlich geht da doch so einiges.
Der kritische Blick
Doch die Autor:innen kommentieren das zurückhaltend: „Es besteht in der Literatur kein eindeutiger Konsens über die sinnvoll automatisierbaren Führungsfunktionen.“ Und was gibt es zu bemäkeln? Dass die Befürworter mit einer technologie-zentristischen Brille auf die Welt schauen. Das heißt, Mitarbeitende werden wie Roboter behandelt. Man gibt ihnen Anweisungen, die sie befolgen. Das ist dann deren simples Führungsverständnis.
Die Autor:innen greifen auf die Klassifikation von Yukl zurück, der eine hierarchische Taxonomie des Führungsverhaltens vorgelegt hat. Er unterscheidet vier Arten: aufgabenorientiertes, beziehungsorientiertes, veränderungsorientiertes und externes (repräsentieren, netzwerken) Führungsverhalten. Und siehe da: „Hervorzuheben ist, dass im Bereich der veränderungsorientierten und externen Führungsfunktionen keines der identifizierten algorithmischen Führungssubstitute eine dieser Führungsfunktionen automatisiert.“
Das ist doch interessant! Und ich würde zudem bezweifeln, dass KI Beziehung kann. Oder andersherum betrachtet, wenn folglich KI nur aufgabenorientierte Führung kann, was kann sie denn überhaupt? Und die Antwort lautet: Klärung, Planung und Überwachung. Also lediglich Robot Style. Noch nicht einmal das, schlimmer noch: „Die identifizierten Substitute können allerdings noch keine eigenständige Problemlösung betreiben.“
Steine statt Brot
Das ist deutlich weniger als transaktionale Führung. Die Autor:innen selbst liefern übrigens dieses Stichwort. Und ich nehme den Volley aber gerne auf: Was fehlt zur transformationalen Führung? Die Vorbild-, die Motivator-, die Innovator- und die Personalentwicklerfunktion. Mama mia! Dass man sich überhaupt traut, das Wort Führung in den Mund zu nehmen angesichts der unterirdischen Performanz von KI! Das ist eine Bankrotterklärung, die die Autor:innen höflich umschreiben mit: „Dass menschliche Führungskräfte auch weiterhin eine wichtige Rolle einnehmen werden.“
Doch jetzt werden bestimmt ein paar Leute angelaufen kommen – die Herrschaften vom Digitalen Taylorismus (Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt) sind wohlbekannt – und behaupten: Na ja, das sind Kinderkrankheiten, das wird noch werden, bedenke das Moore’sche Gesetz! Solches entlockt mir bloß ein müdes Lächeln. Warum?
Weil an diesem Beispiel doch der Denkfehler der Digitalisierer offensichtlich wird. Gehen wir einmal ein paar Jahre zurück in der Geschichte: Der Übergang von analoger (Vinyl) zu digitaler (CD) Musik. Oder von analoger zu digitaler Fotografie. Die digitale Technik tastet das analoge Objekt ab. Je höher die Abtastrate (je mehr Pixel), desto eher lässt sich mein Ohr oder Auge von der „Echtheit“ überzeugen. Für etliche Zwecke reicht mir das, manche kaufen heute aber auch wieder „richtige“ Schallplatten. Oder gehen trotzdem in Live-Konzerte. Das wird seinen guten Grund haben. Autos kaufen keine Autos.
Die Dienstleistung wird zum Produkt degradiert
Übertragen wir das auf die oben genannten Beispiele: Führung ist eine Dienstleistung. Und solche zeichnen sich durch zwei Dimensionen aus:
Die sachliche Dimension
Auf der sachlichen Dimension geht es um die instrumentelle Problemlösung. Das erfordert Koproduktion und adaptives Handeln. Die Problemlösung (Führung) wird vom Dienstleister und Kunden gemeinsam erzeugt. Der Mitarbeitende muss eigene Kompetenz und eigenes Engagement mit einbringen. Beide interagieren auf „Augenhöhe“. Die Führungskraft passt ihr Problemlösungshandeln ständig an den Mitarbeitenden und die aktuelle Lage an. Führung ist damit im besten Sinne Maßschneiderei; also immer „anders“ und kein 08/15-Prozess, in dem immer dieselbe Konfektionsware (Tools) zum Einsatz kommt.
Die soziale Dimension
Auf der die sachliche begleitenden, sozialen Dimension geht es um das Wie der Problemlösung. Das trägt entscheidend zur Zufriedenheit bei. Deshalb sind eine aktive Beziehungsgestaltung, ein reflektiertes Rollenverhalten sowie Gefühlsarbeit erforderlich. Koproduktion erfordert eine stabile, belastbare Beziehung. Und diese vollzieht sich „ganzkörperlich“ und nicht bloß kognitiv (Spotlight auf einen blinden Fleck). Ein bewusstes Rollenmanagement zielt darauf ab, das Rollenpotenzial auszuschöpfen und ein gutes „Grenzmanagement“ (z.B.: Nähe-Distanz-Balance) zu betreiben. Und die Führungskraft selbst ist – „mit Haut und Haaren“ – Teil der Dienstleistung (Koproduktion). Sie ist sich selbst ein „Werkzeug“. Sie leistet Denk- und Gefühlsarbeit, „verdaut“ Eindrücke und Erleben. Indem sie nicht nur empathisch ist, Gefühle spiegelt, sondern auch sich selbst managt.
Führung durch KI
Was uns KI bislang liefert, ist doch bloß eine Simulation. Je mehr Pixel, desto besser ist die Auflösung. Doch wird das ausreichen im hochkomplexen menschlichen Alltag? Man darf daran zweifeln. Und die Autor:innen (Die Automatisierung von Führungsfunktionen) bestärken mich in dieser Ansicht: KI mag einiges an Wissen mitbringen, doch kann sie bloß „command and control“. Wann und wie wird aus Wissen Fachkompetenz? Hat KI eine gruppendynamische (Sozial-)Kompetenz? Und eine Selbstkompetenz? KI hat doch gar kein Selbst …
Gerd Gigerenzer sekundiert (Und wer bringt den Müll raus?): „Komplexe Algorithmen arbeiten am zuverlässigsten in wohldefinierten, stabilen Situationen, in denen große Datenmengen zur Verfügung stehen.“ Genau das ist im normalen Führungsalltag nicht der Fall. Die Beispiele, die die Autor:innen bringen, sind Ausnahmen. Weil sie sachnahe, simple Dienstleistungen sind. Hier wird der Uber-Fahrer wie ein Roboter bedient. Er ist austauschbar. Seine Individualität interessiert nicht. Er ist eigentlich ein Ding.
Welcome to the machine
Wie sich die Mitarbeitenden dabei fühlen, ob sie es genießen oder bedauern, eine Nummer zu sein, wie ein Spielstein auf dem Schachbrett hin und her geschoben zu werden, und wie sie das psychisch verarbeiten – da ist eine Menge denkbar, von Abspalten bis Rache am System nehmen. Das wird uns sicher in den nächsten Jahren berichtet werden. Meine Wette: Akkordarbeit wurde abgeschafft, weil in der Industrie zu viel Ausschuss produziert wurde. Ich vermute, KI wird auch eine gehörige Menge an Ausschuss produzieren. Vielleicht bemerkt man es nicht gleich …
Derweil üben wir uns darin, Erbsen auf die Treppenstufen zu platzieren. Vielleicht dauert es ein Weilchen … bis der große Knall ertönt, und das Licht angeht. In Köln ist die Sage von den verschwundenen Heinzelmännchen noch sehr bekannt.