INSPIRATION: Vor Kurzem habe ich versucht, bei einer Versicherung eine Nachfrage zu einem Schadensfall zu stellen. Das erste Problem: Ich fand nirgendwo eine Telefon-Nummer. Sie verbarg sich im Impressum, der Anruf begann mit dem Satz: „Guten Tag, ich bin Botti!“ Den Rest habe ich mir nicht mehr angehört und bin zum Live-Chat gewechselt. Auch hier war mein Gegenüber ein Bot, und meine Frage passte nicht in sein Antwortraster. Immerhin: Aus den vorgegebenen Fragen konnte ich herauslesen, dass weitere Versuche keinen Sinn ergaben. Weil bei meinem Problem die Versicherung mich ohnehin an den Vertragshändler verweisen würde, bei dem ich mein versichertes Gerät gekauft hatte.
Mir war also geholfen, aber glücklich war ich nicht. Das scheint bei der Schweizer Versicherung namens Mobilar anders zu sein („Liebe Mobilar, obwohl ich unser Kanu…“). Sie ist nicht nur die älteste private Versicherung der Schweiz (Gründung 1826), sondern auch extrem beliebt. „Jeder dritte Schweizer Haushalt ist bei ihr versichert.“ Bei Umfragen rangiert sie vor Apple – und das als Versicherung. Wie kann das sein?
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Und man hilft sich
Wenn Sie sich nun fragen, warum man dort so großzügig ist: Es sind wohl mehrere Faktoren, aber sie lassen sich ziemlich einfach zusammenfassen: Man kennt sich. Die Berater leben in der selben Gegend wie die Kunden, oft um die Ecke. Sie sind im gleichen Verein aktiv und bekommen mit, was die Nachbarn so anschaffen. Und stehen gleich mit einem Vertrag bereit. Das allein klingt noch nicht ungewöhnlich. Aber kennen Sie sowas? Wenn die Kunden einen Schaden melden, kommen die Berater persönlich vorbei. Und es gibt einen Schalter, an dem sie den Schaden melden können. Dort bekommen sie das Geld bar ausgezahlt. 90% der Fälle werden so geregelt. Also ganz anders als meine Versicherung (siehe oben), wo die Fälle zentral abgewickelt werden. Ob das kosteneffizienter ist, weiß man gar nicht genau, sagt der Vertreter der Mobilar, auf jeden Fall sei ihr System schneller.
Aber offenbar wartet man in den Filialen nicht nur darauf, dass sich die Versicherten melden. Wenn eine Schaden eintritt, taucht der Vertreter der Mobilar auch schon mal direkt vor Ort auf, z.B. bei einem Hochwasser. Und man hofft, dass beim Kunden tatsächlich auch mal ein Schadensfall eintritt. Echt jetzt? Klar, denn dann könne man zeigen, was man draufhat. Und wird natürlich wärmstens weiter empfohlen.
Natürlich kann auch dort niemand zaubern, und natürlich wird dort auch nicht jeder Fall gelöst. Offenheit, auch über das, was nicht geht, sei das Wichtigste. Aber im Zweifelsfall drückt man lieber ein Auge zu, man versucht einen Weg zu finden, den Schaden zu bezahlen. Während andere eher das Gegenteil probieren.
Self Service
Apropos Bot. In einem sehr witzigen Beitrag über einen Besuch in einem Pick&Go-Lebensmittelgeschäft (Yes, I scan) im gleichen Heft erfährt man, wie die Zukunft unseres Einkaufs aussieht. Nein, gemeint sind nicht die Kassen, bei denen man sein Produkt unter einen Scanner hält und nachdem alles registriert wurde, per Karte oder Smartphone bezahlt. Das kenne wir inzwischen ja schon. Und ich gestehe, dass ich mich mit einigen wenigen Artikeln auch schon dort versucht habe. Wobei meist hilfsbereite, aber etwas hektische Mitarbeitende des Supermarktes sofort heranspringen, wenn man sich etwas dusselig anstellt. Diese Kassen nennt man „Self-Check-Out-Geräte“. Davon passen sechs auf den Platz, den sonst eine normale Kasse einnimmt, sie steigern den Kundendurchsatz pro Stunde angeblich um 40%.
Nein, es geht darum, einen Laden oder einen bestimmten Bereich eines Ladens zu betreten, in dem man von Hunderten von Kameras beobachtet wird und die Produkte von Tausenden Gewichtssensoren in den Regalen erfasst werden. Die Software dahinter kann uns schon nach 100 Sekunden sehr genau anhand unserer Bewegungen und unserer Skelettmerkmale identifizieren. Wenn wir nun Produkte in unsere Taschen stecken, registriert die Software diese sehr genau, erkennt zuverlässig, welche wir wieder zurückstellen Und wenn wir den Laden verlassen, bucht das System den Einkaufspreis automatisch von unserem Smartphone ab.
Laut Berechnungen aus den USA erspart uns Kunden das System viele Stunden Wartezeit an Kassen, die Läden machen 50% mehr Umsatz und sparen 20% Lohnkosten. Von solchen „vollautomatischen Tante-Emma-Läden“ gibt es in Deutschland zirka 40, sie heißen Just-Walk-out-Läden, da müssen wir noch eine Weile Geduld haben, bis unsere Geduld nicht mehr an den üblichen Kassen auf die harte Probe gestellt werden.
Plauderkassen
Was an dem Artikel nachdenklich macht: Wir Kunden nehmen den Anbietern inzwischen eine ganze Menge Arbeit ab – und das ganz kostenlos. Denn vermutlich sinken die Preise der Lebensmittel nicht – oder haben Sie schon mal in einem McDonalds Rabatt bekommen, wenn sie die Bestellung selbst eingetippt und keinen Mitarbeiter belästigt haben? Wir werden zu „ehrenamtlichen“ Mitarbeitern: Die Bahntickets buchen wir online und checken selbstständig ein. Bei Ikea zerren wir schon lange unsere Möbel aus den Regalen und bauen sie auf. Und das Car-Sharing-Auto tanken wir brav auf, „vermutlich werden ich die Fahrzeuge bald auch noch selbst reinigen müssen“.
Ach ja, der Datenschutz? Stört uns nicht sonderlich, schließlich ist es so wie früher auf dem Dorf. Das wusste Tante Emma auch genau, was jemand eingekauft hat. Anders als in den Läden mit den vielen Kameras hat sie uns nicht zu 94%, sondern zu 100% erkannt. Bleibt ein winziger Unterschied – und damit sind wir wieder bei der Versicherung: Wir mögen es durchaus, hin und wieder von einem echten Menschen bedient zu werden. Was eine Supermarkt in den Niederlanden veranlasst hat, eine „Kletskassa“ (Plauderkasse) einzurichten. Dort kann man noch mit Bargeld bezahlen und mit den Mitarbeitenden quatschen. Kommt so gut an, dass andere Filialen nachziehen wollen.