INSPIRATION: Die Geschichte mit dem Purpose beschäftigt mich nach wie vor. Einerseits glaube ich auch, dass sie stark Berater-getrieben ist. Ähnlich wie in der Phase, als plötzlich alle Unternehmen, Bereiche, Abteilungen und Teams eine Vision brauchten und dazu unzählige Workshops auf allen Ebenen abgehalten wurden. Und wie damals kommen wohl auch bei Purpose-Statements zwar feine Sätze heraus, aber dahinter bleibt alles beim Alten.
Vielleicht aber auch nicht. Denn es mehren sich die Stimmen, die nicht irgendeinen Unternehmenszweck fordern, sondern sogar einen „edlen“. So wie der Chef der Handelskette Best Buy in den USA (Purpose ist kein Larifari). Er argumentiert wie folgt: Unternehmen können nur existieren und Geld verdienen, wenn es den Mitarbeitern, den Kunden und den Menschen insgesamt gut geht. Da mag man erst mal müde lächeln, aber so viel ist klar: Eine Pandemie oder eine Flutkatastrophe zerstört auch die Geschäftsgrundlage von Unternehmen. Daraus folgt: Unternehmen, die sich nicht darum kümmern, dass ihr Wirken dem Gemeinwohl dient, müssen damit rechnen, dass ihre Grundlage schwindet.
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Hieraus wiederum folgt: Es wäre gut, darüber nachzudenken, in welcher Form man der Gesellschaft als Ganzes dient, und eben nicht nur dem Kunden. Und schon gar nicht nur dem Besitzer (Shareholder). Es geht auch über den Ansatz „Stakeholder-Value“ hinaus. Es sein denn, man bezieht die Menschheit und ihre Umwelt als Stakeholder in seine Überlegungen ein.
Marketing- und Slogan-Denken
Was bedeutet das nun konkret? Bei Best Buy formulierte man den Purpose „Das Leben unserer Kunden mithilfe von Technologien verbessern.“ Finde ich enttäuschend, weil so ein einzelner Satz am Ende dann doch wieder nur Teilaspekte aufführt. Da beißt sich wieder das Marketing- und Slogan-Denken mit dem hehren Purpose-Ansatz. Liest man aber weiter, wird dann klar, dass hier jemand weit über Kundenorientierung hinausgeht.
Das Ziel des Management sollte es sein, „den Beschäftigten auf allen Ebenen dabei zu helfen, ihre persönlichen Motivationstreiber mit dem edlen Purpose des Unternehmens zu verbinden.“ Der Gedanke wird auch mit praktischen Beispielen unterlegt. So wird von einem Filialleiter berichtet, der seine Mitarbeiter fragt, was sie in ihrem Leben erreichen wollen. Anschließend arbeitet er mit jedem an der Umsetzung der Ziele. Ich erinnere mich an „Entwicklungsgespräche“ in einem Konzern, in dem die Frage ähnlich lautete. Gemeint war allerdings, welche Position man gerne mal innehaben möchte, im Sinne des klassischen Karrieredenkens.
Kunststückchen
Möchten Sie von Ihrem Chef gefragt werden, was Sie im Leben erreichen möchten? Spielen wir das mal durch. Sie sagen: „Ich möchte meinen Kindern eine gute Zukunft ermöglichen. Ich möchte ein Häuschen im Grünen, einen Hund, zwei Katzen und eine glückliche Beziehung. Und genug Geld, um zweimal im Jahr einen größeren Urlaub machen zu können.“
Nun lautet der Purpose des Unternehmens, die Welt mithilfe von Technologien besser und das Leben der Menschen erträglicher zu machen. Wie lassen sich nun diese Dinge verbinden? Braucht es da nicht eher einen Coach, um dieses Kunststück zu vollbringen?
Vielleicht nicht. Wenn dieser Mitarbeiter nun mal nicht den Wunsch hat, die Welt zu retten, aber seinen Kindern eine gute Zukunft zu ermöglichen, dann lässt sich hier doch schon mal eine Verbindung herstellen. Das mit dem Häuschen und dem Urlaub klappt dann über das Gehalt. Noch konkreter: Gibt die Stelle nicht genug Entgelt her, müsste der Chef sagen: „Da sehe ich ein Problem, das werden Sie auf dieser Stelle nicht schaffen. Lassen Sie uns mal schauen, ob per Weiterbildung und Zusatzqualifizierung es auch in unserem Unternehmen klappen könnte.“
Wie ernst es der Chef von Best Buy meint, zeigt er am Beispiel des Hurrikans Maria 2017 auf Puerto Rico. Das Unternehmen half den betroffenen Mitarbeitern, wieder auf die Beine zu kommen, zahlte das Gehalt weiter und unterstützte den Wiederaufbau auch der privaten Heime durch den Einsatz von Freiwilligen und Geld. Da zumindest stimmte der Satz mit dem „Leben verbessern …“ Drei Monate später konnte man die Standorte wieder eröffnen, und sie erzielten bald einen deutlich höheren Umsatz als vorher. Was die These stützt, dass „Performance und Purpose deutlich korrelieren“ (Purpose oder Pose?).
Was mache ich eigentlich hier?
Stephan Jansen erklärt in der Brand eins, dass die Frage: „Warum mache ich eigentlich, was ich mache?“ nicht nur für jeden Einzelnen von uns eine gute Frage ist, sondern auch für Unternehmen. Und er hält die Idee, den Purpose auf Branchen-, Unternehmens- und Teamlevel zu definieren, um ihn mit den persönlichen Zielen der Mitarbeiter zu verbinden, für eine gute Idee (Purpose oder Pose?).
Man könnte die ganze Geschichte auch etwas schlichter formulieren: Müssten sich Unternehmen nicht einfach bei jeder Entscheidung, die sie treffen fragen, welche Wirkungen und Nebenwirkungen diese nach sich ziehen? Und dann überlegen, ob man damit die Welt besser macht? Und sich dann entscheiden, bestimmte Produkte eben nicht auf den Markt zu bringen, auch wenn sie (finanziellen) Gewinn versprechen? Was bedeutet, „unser kapitalistisches Wirtschaftssystem auf eine neuen Fundament zu stellen.“ Und der Satz stammt nicht von mir, sondern von besagtem CEO der Handelskette Best Buy.
Vielleicht noch eine Ergänzung, die das Thema ein wenig erdet. Kaduk u.a. schreiben unter dem Stichwort „Purpose“, dass es nicht gleich der ganz große Wurf sein muss, sondern man ja vielleicht auch erst mal schaut, „ob die eigene Organisation sinnvoll organisiert ist“ (Sprechblasen der Organisationskultur). Wenn Menschen Arbeiten erledigen, die in ihren Augen nun mal völlig überflüssig sind, dann ist es schwer, sie mit einem großartigen Unternehmenszweck zu begeistern.
Ein letzter Gedanke: Es ist natürlich denkbar, dass die Vorstellungen, die der Mitarbeiter von seinem Leben hat, sich eben nicht mit dem Unternehmenszweck vereinbaren lassen. Wäre es dann die Aufgabe des Unternehmens, mit ihm gemeinsam zu überlegen, wo er besser aufgehoben ist?