21. November 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Mit dem Röntgenblick

KRITIK: Wenn man doch vorhersagen könnte, wann es wahrscheinlich wird, dass ein Mitarbeitender kündigt. Wäre das nicht wunderbar? Dann könnte man doch vorsorgen. Und Maßnahmen ergreifen.

„Die traditionellen Ansätze des Personalmanagements gegen Fluktuation und für Mitarbeiterbindung haben sich in erster Linie auf individuelle Prädiktoren gestützt.“ Da geht noch mehr, meint Autor Stephan Kaiser (Effektivere Bindung durch die Analyse von Netzwerken). Ob Mitarbeitende Stress auf der Arbeit erleben, sich ungerecht von Führungskräften oder Kolleg:innen behandelt fühlten, das Gefühl hätten, zu wenig zu verdienen, oder „alternative Beschäftigungsmöglichkeiten“ (was nicht erläutert wird) anstrebten, all das mag relevant sein. Sei aber eben nur individuell. – Was auch immer er damit meinen mag.


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Es gehe um nichts weniger als um „einen innovativen Ansatz der Mitarbeiterbindung“ – mittels Netzwerkanalyse. Autor Kaiser bespricht eine wissenschaftliche Veröffentlichung: „Das Paper legt nahe, dass Führungskräfte neben den traditionellen Führungs- und Managementmethoden auch die Netzwerkpositionen und -beziehungen ihrer Mitarbeitenden verstehen und beeinflussen sollten, um die Mitarbeiterbindung zu stärken und die Fluktuation zu reduzieren.“

Netzwerkanalyse

Die soziale Netzwerkanalyse ist eine faszinierende Methode, die auf das von Levi Moreno entwickelte Soziogramm zurückgeht. Längst hat die Methode – mehr oder weniger unbeachtet – unser aller Sozialleben infiltriert. Social Media basieren auf der Idee, Beziehungen zwischen Menschen abzubilden. Das macht man nicht mehr mit Papier und Bleistift wie weiland Psychologie-Lichtgestalt Moreno. Das realisieren heute Computer(-Netzwerke). Und es gibt auch noch spannendere Fragestellungen als die klassische, ob mich jemand mag. Interessant sind im Unternehmenskontext beispielsweise Fragen des Wissensmanagements.

Die Journalautoren, auf die sich Stephan Kaiser bezieht, nennen vier wichtige Aspekte:

  • Position: Wo steht ein Mitarbeitender innerhalb der Organisation? Eher zentral oder mehr am Rande? Das sei wichtig für die Bindung. Je zentraler, desto gebundener. – Dazu fällt mir doch glatt das Thema „Hackordnung“ ein. Wobei man das auch differenziert und wertschätzend betrachten kann (Selbstführung von Teams).
  • Soziale Unterstützung und Leistung: Das Netzwerk kann behilflich sein, einen neuen Job zu finden, wenn die eigene Leistung zu wünschen übrig lässt.
  • Kritische Knotenpunkte: Über typische Zentralitätsmaße könne das Fluktuationsrisiko geschätzt und gezielt gehandelt werden.
  • Art, Stärke und Qualität: Es gibt immer verschiedene Netzwerke. Diese haben unterschiedliche Auswirkungen.

Dynamische Systeme

Und siehe da, die Autoren verstehen Netzwerkanalyse nicht bloß statisch, sondern betrachten auch dynamische Entwicklungen: „Die Wechselentscheidung von einflussreichen und zentralen Personen im Netzwerk stimuliert andere Mitarbeitende, das Gleiche zu tun (Schneeball-Effekt).“ Wer hätte das gedacht? Und jetzt kommt es noch dicker: In der Covid-Pandemie, als viele Mitarbeitenden im Homeoffice gearbeitet haben, hatte man plötzlich weniger Kontrollmöglichkeiten. Man sieht den Controller förmlich mit blutendem Herzen vor einem stehen: Ach, wenn ich doch nur die Fluktuation verringern könnte …

Autor Kaiser versucht sich nun daran, die Studie praktisch weiterzudenken: Die Studie wurde im US-amerikanischen und chinesischen Kontext durchgeführt. Das schränkt ihre Generalisierungsfähigkeit ein. Aber – noch gravierender – hierzulande haben wir mitbestimmungs- und datenschutzrechtliche Restriktionen. Ist das bedauerlich? So bleibt ihm nur der Hinweis an Führungskräfte, sie mögen doch das Soziale mehr beachten beim Thema Fluktuation.

Digitaler Taylorismus?

Blöd gelaufen. Doch ich frage mich, es gibt erwünschte und unerwünschte Fluktuation, warum wird hier nicht differenziert? Warum schaut der BWL-Professor wieder bloß mit der Theorie-X-Brille (McGregor) auf Menschen? Warum denkt er in Richtung digitaler Taylorismus (Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt)? Und die traditionellen Faktoren, die er zu Beginn aufführt, die angeblich individuellen, warum sind sie ihm zum Schluss der Rede nicht mehr wert?

Ach, wenn er doch einmal die Theorie-Y-Brille aufsetzen könnte? Und wertschätzend und positiv über die Mitarbeitenden im Unternehmen denken würde? Dann würde er vielleicht auch einmal auf ein paar schöne und konstruktive Ideen kommen. Und was wäre, wenn die Netzwerkanalyse in die Hände der Mitarbeitenden gelegt würde? Und diese entscheiden würden, welche Daten sinnvoll wo im Unternehmen und welche vielleicht auch nicht genutzt würden (Empowerment)? Man wird ja noch mal träumen dürfen …

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