KRITIK: Ich greife die Metapher von Carsten Schermuly mal auf: Angenommen, der Fußballverband stellt fest, dass die Zuschauer ausbleiben, weil ihnen das Spiel nicht spektakulär genug ist. Er kommt auf die Idee, dass mehr Tore fallen sollten, und deshalb werden die Tore 50 cm breiter und höher gemacht. Logische Konsequenz: Die Trainer müssten reagieren, indem sie z.B. ihren Spielern neue Kompetenzen vermitteln.
So ist es auch bei der Einführung von New Work. Wer die Spielregeln ändert, sollte die Betroffenen vorbereitet aufs Spielfeld schicken. Sonst leidet nicht nur die Leistung, sondern auch die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden. Im Fußball würde man vermutlich den Torhütern beibringen, einen Zwischenschritt zu trainieren, ehe sie abheben, und die Abwehrspieler müssen noch höher springen – was auch immer. Was aber benötigen die Mitarbeitenden, die sich plötzlich in einer New Work-Umgebung wieder finden?
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Um das herauszufinden, wurden beim neuen New-Work-Barometer 2023 insgesamt 613 Unternehmensvertreter befragt, sie sollten aus 24 Kompetenzen aus den Bereichen methodische, soziale und persönliche Kompetenzen die 10 ankreuzen, die ihnen für ein erfolgreiches Arbeiten in New Work besonders wichtig erscheinen (Vorbereitet aufs Spielfeld).
Die wichtigsten New-Work-Kompetenzen
Welche haben nun die Betroffenen als besonders wichtige Kompetenzen identifiziert? „Gewonnen“ haben die persönlichen Kompetenzen, gleich vier von ihnen liegen auf den Top-Plätzen: Eigenverantwortung, Lernbereitschaft, Veränderungsfähigkeit und Selbstreflexion. Erst dann kommt die erste soziale Kompetenz mit Teamfähigkeit, die Dialog- und Konfliktfähigkeit liegt auf Platz 8 hinter Problemlösekompetenz und Digitalkompetenz.
Und nun? Ich tue mich generell schwer mit diesen Begriffen. Wie grenzt man Lernbereitschaft von Veränderungsfähigkeit ab? Überhaupt: Wieso Lernbereitschaft und nicht –fähigkeit? Wieso Veränderungsfähigkeit und nicht –bereitschaft? Was ist mit Menschen, die lernbereit, aber nicht – fähig sind? Und jenen, die sich verändern können, aber nicht bereit dazu sind? Oder ist mit Bereitschaft und Fähigkeit ein und dasselbe gemeint? Nächstes Problem: Kann man teamfähig sein, ohne ausreichende Dialog- und Konfliktfähigkeit? Und ist emotionale Kompetenz nicht eher ein Oberbegriff, unter den auch so etwas wie Dialogfähigkeit fällt?
Aber selbst wenn wir mal annehmen, dass die zur Auswahl stehenden Kompetenzen klar voneinander zu trennen sind: Was lernen wir daraus, wenn Eigenverantwortung mit großem Abstand am häufigsten gewählt wird? Für mich vor allem, dass mit New Work so etwas wie Selbstorganisation verbunden wird. Und wenn man noch mal die Geschichte mit dem größeren Fußballtor heranzieht und Fußballspielern die gewählten 24 Kompetenzen vorlegt: Würden nicht auch hier viele so etwas wie „Lernbereitschaft“ ankreuzen? Soll heißen: Wenn ich Menschen frage, was sie wohl benötigen, wenn sich die Bedingungen ändern, können sie doch gar nicht anders als etwas mit „Lernen“ und „Veränderung“ zu wählen. Mit anderen Worten: Ich kann mit dem Ergebnis wenig anfangen.
Was zu erwarten war
Gab es Unterschiede in den Antworten der befragten Branchen, die unterteilt waren in Berater, Industrie und Öffentlicher Dienst? Schon, diese werden in dem Beitrag auch vorgestellt. Hier musste ich an einer Stelle schmunzeln: Die Berater geben der Dialog- und Konfliktfähigkeit deutlich mehr Bedeutung (63,2%) als die Industrie (39,5%). Mein erster Gedanke: Klar, die Berater stellen immer wieder fest, wie schwer sie es haben, vor Ort mit ihren Konzepten zu überzeugen. Aber vielleicht ist es ja auch anders herum: Die Industrievertreter erleben ihre Mitarbeitenden heute schon als recht dialog- und konfliktfähig. Das sieht nämlich beim öffentlichen Dienst ganz anders aus (58,5%). Da muss sich offensichtlich was tun.
Oder bedeuten diese Abweichungen letztlich nur, dass das Verständnis von „New Work“ in den genannten Branchen deutlich voneinander abweicht? Ein größeres Fußballtor ist ein größeres Fußballtor, aber was ist „New Work“? Am Ende bleibt nur der Appell, den auch der Autor an seine Leser richtet: „Organisationen sollten Befragungsergebnisse auch immer methodisch prüfen und eigene arbeitsanalytische Bemühungen anstellen, um spezifisch für ihre Unternehmenssituation geeignete Kompetenzprofile zu erarbeiten.“ Wohl wahr.
Lieber Johannes Thönneßen, lieber Thomas Webers
ich finde Management Wissen online ganz toll und fühle mich in meiner Haltung so oft durch die Beiträge inspiriert wie bestätigt. Danke! Endlich habe ich die Zeit gefunden, mich durchgewuselt und angemeldet. Viel Erfolg weiterhin und jetzt freue ich mich dabei zu sein.
Herzliche Grüße,
Ellen Flies