3. Juli 2025

Management auf den Punkt gebracht!

Schlaraffenland ist abgebrannt

GLOSSE: Es häufen sich die Klagen über havariertes KI-Prompting zur Personalauswahl. Ein nüchterner, heiterer und optimistischer Blick auf das Thema KI-Einsatz vom Altmeister der Personaldiagnostik, Martin Kersting.

Das ist schon ein Grund zur Erheiterung, wenn der Autor (Eine kleine digitale Hausapotheke), seines Zeichens Top-Experte zum Thema Personaldiagnostik, den Rat gibt, es doch einmal mit dem Tabellenkalkulationsprogramm Excel zu versuchen. Wird nicht genau das dem HR-Management hierzulande gerne vorgeworfen, die größten Excel-Frickler vor dem Herrn zu sein? So könnte man doch erwarten, vom Meister mal eben auf ein höheres Level gebeamt zu werden.

Tja, Professor Martin Kersting kennt seine Pappenheimer, könnte man süffisant kommentieren (KI in der Personalauswahl). Und so eröffnet er auch seinen Beitrag im Personalmagazin gleich euphemistisch: „Die Künstliche Intelligenz (KI) wird HR revolutionieren.“ Da hüpft doch gleich das Herz der geschundenen und gequälten Searcher vor Freude! Und so verspricht der Autor ihnen auch großspurig das Schlaraffenland. Um wenige Zeilen weiter zu ergänzen: „Also natürlich nicht heute, aber bald. Vielleicht.“

Er scheint doch so seine Erfahrungen gemacht zu haben mit der „Feuerkraft“ der in Unternehmen in der Personalauswahl Tätigen. Offenbar geben die Verantwortlichen den Job gerne an Berufseinsteiger/innen. Weil die jung sind und deshalb der Zielgruppe nahestehen. Und weil sie sich natürlicherweise (Digital Native) mit Social-Media und KI auskennen (müssen). Nicht zu vergessen: Weil man sie preisgünstig einkaufen kann.

Typischer Fall von „Denkste!“

Die Branche feiert Prototypen, „die schon aufgrund der Kosten und/oder aufgrund von rechtlichen Rahmenbedingungen Science Fiction bleiben,“ doch im Unternehmen „geht die tägliche Personalarbeit weiter wie eh und je“. – Also Excel … Denn wenn der Einsatz von ChatGPT rechtlich zweifelhaft ist, können die Mitarbeitenden KI nur heimlich auf ihren privaten Mobiltelefonen nutzen. Ob sie wissen, was sie da tun? Und ob sie es gut machen? Die Experten im Unternehmen können sie ja nicht fragen.

Kersting verspricht einen Beitrag zur Qualitätsoptimierung und eine pragmatische Hilfe. Und daher liefert er auch Beispiel-Prompts für Anforderungsanalysen, Stellenanzeigen, Interviews und mehr. Aber er schickt vorweg: „Wer mit LLMs arbeitet, benötigt sowohl fundiertes Wissen im jeweiligen Fachgebiet als auch ein Basis-Verständnis für KI.“

Da mag man jetzt schnell nicken. Denn der Experte hat nun nicht explizit erwähnt, dass man Lesen, Schreiben sowie Rechnen können sollte und über eine Aufmerksamkeitsspanne größer gleich fünf Minuten verfügen sollte … Ok, das ist krass bösartig von mir! Streichen wir den letzten Satz … Aber Kersting fordert doch ausdrücklich, dass man Prompting-Techniken wie Rollenzuweisung beherrschen sollte. Und erinnert daran, dass das Bereitstellen von Datenmaterial die Resultate erheblich verbessern wird.

„Beipackzettel“

Dann fangen wir mal mit der Rollenbeschreibung an: Was er wohl mit „Bereitstellen von Datenmaterial“ meint? Und dann kommen noch Hinweise, Prompting nicht mit Copy & Paste zu verwechseln und die Ergebnisse mehrerer LLMs zu vergleichen. Hört sich irgendwie nach ganz schön viel Arbeit an … Und dann rät er auch noch zur Nutzung kostenpflichtiger LLMs. Aber hatte er nicht gerade gesagt, viele Unternehmen verbieten den KI-Einsatz: Wer soll denn jetzt die Kosten tragen? Ich, die Berufseinsteigerin mit meinem schlanken Gehalt? Ob ich mir das leisten kann – und will?

Und so peu à peu liefert der Autor dann einen „Beipackzettel“, der sich für mich nicht gerade angenehm liest: „LLMs liefern Vorschläge, die kritisch geprüft werden müssen.“ Wie das denn nun? „KI ist kein Ersatz, sondern eine Assistenz für kompetente Personalverantwortliche.“ Dafür bringt er wenigstens Beispiele: Diskriminierungsgefahr, Datenschutz. Puuuh! Ok, auf der anderen Seite: Wenn ich die KI über mein privates Handy nutze – kriegt das doch eh keiner mit … Und der Autor ist so nett und verzichtet bei seinen Beispielen auf die Einbindung der LLMs in firmeneigene Systeme, und die Eingabe sensibler Informationen ist auch nicht nötig.

Konkrete Prompts

Also ran an den Speck, jetzt wird’s spannend: Denn Autor Kersting liefert einige Beispiel-Prompts. Es beginnt mit einer Recherche zum Thema Anforderungsanalyse. Dafür rät er, zunächst interne Dokumente zu analysieren, dann spezifische Datenbanken zu konsultieren, Arbeitsmarktdaten zu organisieren und spezielle Fachartikel zu konsultieren. Hmmm, klingt wieder eher nach viel Arbeit statt Arbeitserleichterung! Typisch Prof! Er macht mal wieder eine Doktorarbeit daraus …

Ach, ich versuche es einfach mal blind mit dem vorgeschlagenen Prompt und ersetze XY durch unsere Jobsuche. „Ich bin Recruiter bei einem großen Sportartikelhersteller. Erstelle eine professionelle Anforderungsanalyse gemäß DIN 33430 für eine offene Position als Marketingdirektor (m/w/d).“ – Wobei: Wieso Anforderungsanalyse? Wir wissen doch eh, wen wir suchen. Und DIN 33430? Nie gehört. Steigen wir doch gleich bei der Stellenausschreibung ein. Das ist doch das, was meine Chefin will.

Zu blöd, warum verweist der Prof denn nun im Prompt auf das Anforderungsprofil? „Formuliere eine zu dem Anforderungsprofil [Dokument] passende Stellenausschreibung.“ Er hatte doch versprochen, mir zu helfen! Hmm, also nehme ich einfach das, was meine Chefin mir auf den Tisch gelegt hat, und formuliere das ein wenig um: „Du hast Dir die Sporen im Sportmarketing verdient und suchst nun eine Herausforderung, unsere Marke richtig groß zu machen. Dazu steht Dir unser junges, eingespielte Team an kreativen, ambitionierten und (da fehlt mir nun ein Wort, lass Dir mal was einfallen) Junior-Marketers zur Seite. Du bringst mit: …“.

Päpstlicher als der Papst

Man hat’s nicht leicht mit der Recruitergilde. Da liefert der Experte sogar Beispiel-Prompts, doch die Kundschaft kommt noch nicht mal auf die Idee zu recherchieren, was es denn mit dieser komischen DIN 33430 auf sich hat. Und das in den Prompts ebenfalls zitierte Grundlagenwerk des Autors „Personalauswahl kompetent gestalten“ – hätte man sich vielleicht mal angeschaut (also den Klappentext), wenn es nicht hinter der Bezahlschranke des Verlags verborgen wäre. Aber kaufen: kein Budget!

„Der eigentliche Rohstoff hinter dem Erfolg von Künstlicher Intelligenz sind die Daten. Ohne Daten, kein intelligentes Handeln. Und ohne systematische Datennutzung keine Qualitätssteigerung.“ – Garbage in, garbage out.

Und hier kommt nun Excel ins Spiel. Also der Hinweis darauf, zunächst einmal Daten zu erheben und zu systematisieren. Das klingt nach Arbeit. Doch Autor Kersting bilanziert zum Schluss knallhart: „Wer als Beraterin oder Berater nur weiterreicht, was vorher ein Sprachmodell ausgespuckt hat, macht sich überflüssig. Substanzielle HR-Beratung beginnt dort, wo die KI aufhört.“

Ich denke, es wird noch ein wenig dauern, bis auch der Allerletzte es (vermutlich recht) schmerzhaft begreift, dass KI nicht zaubern kann, dass der Markt ziemlich leergekauft ist, und dass Expertise ihr Geld wert ist. Vielleicht ist es dann für die Eine oder den Anderen aber auch schon zu spät.

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Thomas Webers

Dipl.-Psych., Dipl.-Theol., Fachpsychologe ABO-Psychologie (DGPs/BDP), Lehrbeauftragter der Hochschule Fresenius (Köln), Business-Coach, Publizist

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