20. Mai 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Stabile Seitenlage?

KRITIK: Als Führungskraft haben Sie es nicht nur mit gesunden Mitarbeitenden zu tun, sondern leider immer häufiger auch mit Menschen, die sich in psychischen Krisen befinden. Da könnte es helfen, wenn Sie Ahnung von „Erster Hilfe“ hätten – so wie hoffentlich auch in Sachen Notfallversorgung bei einem Unfall. Dazu müssen Sie kein Psychologe oder gar Psychotherapeut sein, es genügt, wenn Sie die Basics in kognitiver Verhaltenstherapie (KVT) beherrschen. Sagen zwei Psychotherapeuten aus England im Harvard Business Manager (Erste Hilfe).

Die nämlich ist hervorragend geeignet zur Behandlung von depressiven Verstimmungen und Angststörungen – und genau diese Erkrankungen nehmen gerade deutlich zu. Längst sei belegt, dass auch die Anwendung der KVT durch Laien großen Nutzen stiftet, und „in vielen Niedriglohnländern mit einem Mangel an Ärzten und Psychologen setzen Nichtfachleute die Therapie längst problemlos ein“. Und es gibt inzwischen auch viele Apps, die auf der KVT basieren und in Unternehmen genutzt werden.


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KVT in aller Kürze

Nun denn – werfen wir einen kurzen Blick auf die Basics. Die KVT konzentriert sich auf die Zusammenhänge zwischen Denkprozesse (kognitiver Zustand), Gefühle (Gemütszustand), Körpererleben (physiologischer Zustand) und Verhalten. An einem einfachen Beispiel: Jemand mit einer Sozialphobie denkt ständig daran, dass er sich blamieren wird, das führt zu Angst und Scham, das wiederum zu Herzrasen und Zittern, und all das schließlich dazu, dass er Kontakte möglichst meidet.

Die KVT setzt nun an den Kognitionen an und versucht, diese zu verändern – z.B. sie in realistischen Annahmen zu verwandeln. So weit, so einfach.

Nun sind Sie Führungskraft und stellen bei einem Mitarbeiter Dinge fest wie Vermeidungsverhalten, eine reduzierte Aktivität oder Perfektionismus (Dinge, die zu einem typischen Angstkreislauf gehören können). Sie sind geschult in KVT – was tun Sie? Sie leisten erste Hilfe, indem Sie zuallererst anerkennen, dass es psychische Probleme gibt. Das tun Sie, indem Sie den Betroffenen ansprechen: „Ich sehe, dass Sie etwas bedrückt.“ Dann hören Sie empathisch zu, achten darauf, dass Sie keinerlei wertende Begriffe verwenden. Sie können auch von eigenen Erfahrungen berichten, also erzählen, wo es Ihnen am Arbeitsplatz auch schon mal nicht gut gegangen ist.

Und wenn der Mitarbeiter bereit ist, mit Ihnen über seine Probleme zu sprechen, dann nutzen Sie Ihre Kenntnisse über die vier Prozesse und gehen sie mit dem Mitarbeiter durch. Welche Gedanken kreisen in seinem Kopf? Wie fühlt er sich? Was empfindet er körperlich? Und wie reagiert er auf all das? Anschließend ermutigen sie ihn, die negativen Gedanken auf Fakten zu überprüfen und fördern somit eine realistischere Sichtweise. Und Achtung: Das klappt nur, wenn man eine vertrauensvolle Beziehung hat, in der Vertraulichkeit jederzeit gewahrt bleibt und alle persönlichen Dinge einer strengen Schweigepflicht unterliegen.

KVT für alle?

Echt jetzt? Das erinnert doch sehr an die Forderung nach einer Führungskraft als Coach – oder besser: Führen mit coachendem Verhalten. Die Diskussion schenke ich mir an dieser Stelle, sondern greife einen anderen Punkt auf: Die Autoren empfehlen diese entsprechenden Schulungen auch für Personaler und „für Beschäftigte aller Abteilungen.“ Jeder in einer Organisation sollte also erste Hilfe mit KVT leisten können. Das ergibt Sinn, oder? Warum ausgerechnet die Führungskraft? Weil sie eine besondere Fürsorgepflicht hat? Warum eigentlich? Naja, weil sie Ziele vorgibt, Leistung einfordert, Arbeit verteilt, Teams zusammenstellt und damit das Arbeitsumfeld viel stärker prägt als alle anderen Kollegen. Und weil vor allem sie selbst von ihren Führungskräften verantwortlich gemacht wird, wenn es in ihrem Bereich zu häufigen Erkrankungen und Ausfällen und damit verbunden zu Leistungseinbußen kommt.

Oops, und damit haben wir das Dilemma. Bei einem Unfall würden wir nicht unbedingt warten, bis die Führungskraft kommt und die erste Hilfe übernimmt, sondern demjenigen vertrauen, der schon vor Ort ist und sich auskennt. Und bei starkem Husten würde vermutlich auch der Kollege mal deutlich werden und empfehlen, zum Arzt zu gehen. Aber bei psychischen Problemen muss die Führungskraft ran. Alle anderen lehnen sich zurück. Keine gute Idee, oder?

Gefahr, sich zu überheben

Da neige ich dazu, dem Organisationspsychologen Hannes Zacher zuzustimmen, der im gleichen Heft vor einer Romantisierung von Führung warnt (Ganz schön krank). Führungskräfte sollen inzwischen für alles zuständig sein, da darf es nicht wundern, wenn sie selbst überfordert sind und eine Behandlung mit KVT brauchen. Er warnt auch davor, vor allem individuelle Lösungsstrategien zu suchen, nach dem Motto: „Wenn ich den einen Mitarbeiter repariert bekomme, muss ich nichts an den Arbeitsverhältnissen ändern.“ Die Gestaltung der Arbeit selbst darf nicht aus dem Blick verloren werden.

Mal ganz praktisch: Natürlich helfen die oben erwähnten Kenntnisse – und zwar jedem Menschen. Und wenn jemand psychisch stark belastet ist, hilft es diesem Menschen nicht besonders, wenn ich dann anfange, die Arbeitsbedingungen zu analysieren. Insofern stimme ich den Autoren zu: Grundkenntnisse zum Ansprechen von Störungen würden jedem gut stehen. Aber behandeln? „Hey, probiere doch mal, die negativen Gedanken durch realistische zu ersetzen! Hab ich auch gemacht, hat mir echt geholfen!“

Nicht wegschauen, sondern hinsehen, sagt Zacher, ein guter Hinweis. Ein Gespräch führen, einfühlsam zuhören, wissen, wo der Betroffene einschlägige Hilfe erhalten kann. Auch wissen, wo meine Grenzen sind, welche Dinge ich mir nicht erzählen lasse, wo ich sowohl als Führungskraft als auch als Kollege überfordert bin. Es wird schwierig, die Dinge auseinander zu halten, wenn man eine persönliche Beziehung zueinander hat, sei es beruflich als auch privat.

Macht New Work krank?

Was mich dann am Ende betroffen macht: Zacher meint, dass New Work in die völlig falsche Richtung läuft. Sie führt zum Verschwimmen von Grenzen und das geht einher mit der Zunahme von psychischen Erkrankungen. Menschen brauchen Kontrolle, Routinen und Grenzen – und deshalb auch Hierarchie. Sind wir also gesünder, wenn wir einen Chef haben (auch wenn er keine Schulung in KVT hat)? Wäre eine höchst interessante Diskussion.

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