KRITIK: Wenn vor 25 Jahren das Stichwort Methodenintegration fiel, hat alle Welt auf NLP, das Neurolinguistische Programmieren verwiesen. Es galt als „Best-of“-Ansatz, weil deren Gründer sich das in ihren Augen Beste aus renommierten Psychotherapieansätzen herausgepickt und daraus einen Methodenkoffer gebastelt hatten. Das fanden viele Trainer, Berater und Coaches klasse. Eine solche NLP-Weiterbildung galt damals als klares Muss. Inzwischen ist NLP ziemlich aus der Mode gekommen – und auch in Verruf geraten. Kritiker bemängeln schon lange, dass es fahrlässig sei, in einer Schnellbesohlung anspruchsvolle Methoden aus ihrem konzeptionellen Rahmen zu lösen und nach dem Motto „A Fool with a Tool …“ in der Praxis anzuwenden. Das böse Wort der Toolklempnerei machte die Runde, was Wissenschaftler vornehmer Eklektizismus nennen: Wenn man sich nur die Rosinen herauspickt und den schwierigeren Rest links liegen lässt.
Heute behaupten die Mehrzahl der Trainer, Berater und Coaches, systemisch zu arbeiten. Was Skeptiker wiederum nicht ruhen lässt, bei dem einen oder der anderen einmal am „Lack zu kratzen“. Und siehe da, nicht selten finden sie umlackierte Karossen. Aber darum soll es hier nicht primär gehen. Autor Martin Pichler (Methodenintegration im Business-Coaching) stört sich an der Vielfalt von Methoden und fragt sich, ob es nicht „viel sinnvoller [erscheint], das Beste aus mehreren Coaching-Ansätzen zu kombinieren.“ Ach, denkt sich da die aufmerksame Leserin: Hatten wir das nicht schon einmal?
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Best of …
Was Autor Pichler nicht erwähnt ist, dass diese Fragestellung auch in der Wissenschaft schon seit Längerem diskutiert wird. Der renommierte und leider früh verstorbene Berner Psychotherapieforscher Klaus Grawe lieferte diese Antwort schon im Jahr 2005 ((Wie) kann Psychotherapie durch empirische Validierung wirksamer werden?): „Die Orientierung an Therapiemethoden ist eine Sackgasse.“ Stattdessen empfiehlt er die Orientierung an Wirkfaktoren, die alle Methoden gemeinsam haben, und wetterte gegen das deutsche Krankenkassensystem, das manche Methoden bevorzuge und andere willkürlich von den „Fleischtöpfen“ ausschlösse. Siegfried Greif, dem ehemaligen Osnabrücker Arbeits- und Organisationspsychologie-Professor, ist zu verdanken, dass das Wirkfaktorenkonzept schon wenig später im Coaching (Coaching und ergebnisorientierte Selbstreflexion) diskutiert wurde.
Was also will Autor Pichler, wenn er nun die Vielfalt beklagt? Er stellt drei Konzepte vor: den systemischen, den lösungsfokussierten Ansatz und zum Schluss die Positive Psychologie. Allein die Auswahl könnte schon Fragen aufwerfen. Ich erspare meiner Leserschaft die Details, weil die Darstellung des Autors in meinen Augen eher holzschnittartig und oberflächlich sowie in etlichen Strecken einseitig und – gelinde gesagt – missverständlich ist.
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse
Dass der Methodenstreit ein alter Hut ist und prinzipiell obsolet ist, mag nun noch nicht bei jedem angekommen sein. Das muss man Autor Pichler zugutehalten, dass er hierfür seine Leserschaft sensibilisieren möchte. Und er verweist auf eine weitere wissenschaftliche Klammer: die Neurowissenschaften. Die Bücher von Alica Ryba und Gerhard Roth sind Meilensteine – gerade fürs Coaching, was sich in der Tat noch nicht überall rumgesprochen hat. Nachdem diese Autoren mit den psychotherapeutischen Schulen zunächst hart ins Gericht gegangen waren (Neurowissenschaftlich fundiertes Grundlagenwerk), veröffentlichten sie im Jahr 2019 einen interdisziplinären Dialogband (Neurowissenschaftliche Fundierung von Coaching), der schlussendlich mit einem integrativen Modell aufwartet. Ihrer Meinung nach, und das ist recht schlüssig entwickelt, muss Coaching auf drei Ebenen zugleich ansetzen: Der subjektiven Befindlichkeit, dem Verhalten und der Körperlichkeit.
Die Quintessenz lautet: Es braucht im Coaching mehr als Reden. Es braucht die Beschäftigung mit Emotionen und Körperlichkeit, und zwar fundiert – und nicht esoterisch. Insofern liefern auch Ryba und Roth Metawirkfaktoren – und sie diskutieren und bewerten diverse „Schulen“ exakt nach diesem Raster. Schaut man sich ihr Buch an, wird darin der systemische Ansatz (Jürgen Kriz) und der lösungsfokussierte Ansatz (Marco Ronzani) vorgestellt und (!) gewürdigt. Lediglich die Positive Psychologie fehlt dort, da sie aber keine psychotherapeutische Methode ist, wundert das auch nicht.
So verpufft die Kritik des Autors Pichler. Es sei ihm aber gedankt, dass er noch einmal auf die neurowissenschaftliche Messlatte hingewiesen hat. Und um wieder auf den Anfang zurückzukommen: Wenn schon nicht jeder einzelne Coach gewissenhaft mit der eigenen Kompetenz umgehen mag, dann wäre es doch die heilige Pflicht der Weiterbildungsinstitute und der Verbände, das Thema zu priorisieren. Denn sind die Benchmarks da, dann wird auch verglichen.