KRITIK: Das ist ein ernsthafter Vorschlag des Präsidenten einer „Leadership Academy“: Führung sollte als Profession begriffen werden. Und wenn jemand Talent zum Führen hat, dann sollte er schnell Führungsaufgaben übernehmen „ohne Umweg über eine Bewährung in einer Fachfunktion.“ (Vom Führungstalent zum Young Leader). Natürlich soll er entsprechend ausgebildet sein. Eine gute Idee?
Die Argumentation ist wie folgt: Es hat sich nicht sonderlich bewährt, Experten zu Führungskräften zu machen. Da wäre es doch sinnvoller, schon in jungen Jahren zu schauen, wer die Neigung zur Führung verspürt und wer das notwendige Talent dazu hat. Wobei Neigung wichtiger ist als Eignung, denn „Eignung kann durch Weiterbildung und / oder andere Qualifizierungsmaßnahmen verbessert werden.“ Natürlich weiß auch der Autor, dass sich der Führungsbegriff gerade wandelt, und er will die Talente auch nicht mit disziplinarischer Personalverantwortung versehen. Sie sollen kleinere Führungs- oder Projektleitungsaufgaben übernehmen. Diese Führungskräfte bekommen auch einen Titel: „Young Leaders“.
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Also wird vor allem geprüft, ob jemand „den inneren Wunsch zur Übernahme von Führung“ verspürt und nicht lediglich aus Geld- oder Statusgründen eine Führungslaufbahn anstrebt. Kann er dies glaubhaft machen, schaut man sich seine Kompetenzen an, und die klingen heutzutage so:
Anforderungskatalog
Grundsätzliche Wertschätzung anderer Menschen, ein Selbstverständnis der eigenen Rolle als aktiver, nicht autoritär dominierender Part im Arbeitsprozess, ein empathischer und partizipativer Umgang mit anderen Menschen, eine starke Willenskraft zur Zielerreichung bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Anforderungen des Unternehmens und der Bedürfnisse der Mitarbeiter, Bewusstsein der eigenen Grenzen bei gesundem Selbstbewusstsein und der Bereitschaft, sich stetig zu verbessern, kontinuierliche Selbstreflexion, offensive Einforderung von Feedback, transparenter Umgang mit eigenen Fehlern und ein gesundes Maß an Enttäuschungstoleranz.
Na, das ist ja mal ein klarer Anforderungskatalog, die entsprechende Ausbildung erhalten die „Young Leaders“ im Rahmen des Masterstudiengangs an der Europa-Universität Flensburg. Im Ernst – ich habe kein Problem damit, dass solche Kompetenzen schon an der Universität vermittelt werden. Aber sollen die so ausgebildeten Menschen allen Ernstes Projekte leiten, ohne zuvor die notwendige Fachkenntnis erworben oder fachliche Erfahrungen gesammelt zu haben?
Mal auf die Spitze getrieben: Da leitet ein „Young Leader“ ein kleines Bau- oder Forschungsprojekt mit lauter Experten? Oder ein (kleines) Team von Pharma-Vertretern, ohne je selbst im Außendienst gearbeitet zu haben? Wie wäre es mit einem Mediziner, der eine kleine Abteilung mit Fachärzten im Krankenhaus managt, ohne vorher einen Patienten gesezen zu haben? Oder, so richtig witzig: Er leitet ein Organisationsentwicklungsprojekt an einer Leadership-Academy, ohne je selbst als Dozent gearbeitet zu haben …
Nur der Wille?
Ich sehe schon die Personaler und ihre Begeisterung, wenn sich jemand mit dem Masterabschluss „Young Leader“ vorstellt und erklärt, dass er keine Ahnung von Rechnungswesen hat, aber gerne ein Team von Controllern zu übernehmen bereit ist – weil er über die entsprechenden Führungsfähigkeiten verfügt.
Vermutlich ist all das nicht ganz so ernst gemeint. Aber leider gibt es ja Branchen, in denen tatsächlich Menschen auf andere losgelassen werden ohne entsprechende fachliche Erfahrung. Ich denke da vor allem an Lehrer, die mit jungen Jahren noch jüngere Menschen unterrichten. Habe ich noch nie verstanden, warum die Anwärter nicht erst einmal einer fachlichen Tätigkeit nachkommen müssen.
Auch die Einstellung, dass Neigung wichtiger sei als Eignung halte ich für seltsam. Würden Sie jemandem empfehlen, der eine große Neigung zur Musik verspürt, aber nicht sonderlich musikalisch ist, ein Musikstudium zu beginnen? Klar, ich kenne diese moderne Variante von „Folge deinen Leidenschaften, dann schaffst du alles!“ Dennoch sehe ich es genau anders herum: Wem es an Fähigkeiten fehlt, der wird kaum erfolgreich sein. Eine Neigung kann sich durchaus mit dem Erfolg entwickeln, und ich habe Leute getroffen, die bestimmte Aufgaben nicht übernehmen wollten, aber nach den ersten positiven Erfahrungen Gefallen daran gefunden haben.
Bleibt die Frage mit der Führung als Profession – ist es tatsächlich anzunehmen, dass eines Tages auf einem Abschlusszertifikat nicht „Ingenieur“, „Psychologe“ oder „Jurist“, sondern „(Young) Leader“ steht?