KRITIK: Dass der Druck auf Unternehmen, Veränderungen meistern zu müssen, heute hoch ist, ist bekannt. Dass Change-Management die Antwort darauf ist, ist ebenfalls nicht neu. Was aber tun, wenn es arg eng wird?
Keine Frage, am besten wäre es, wenn Unternehmen nicht bis zuletzt warten würden, sondern proaktiv das Unternehmen transformieren würden. Interessant ist hier die Wortwahl der Autoren (Effektive Lotsen durch den Wandel): Sie nennen es eben nicht Change-Management, sondern Transformation. Und dafür bräuchte es einen Chief Transformation Officer (CTO). Klingt irgendwie logisch auf den ersten Blick. Doch auf den zweiten Blick fragt man sich: Wer treibt denn bislang den Change? Die CHRO? Also die Chief HR-Officer? Oder geht Change nicht eigentlich alle in Geschäftsführung oder Vorstand an? Müssen da nicht alle involviert sein? Ist das nicht eine enorm strategische, Top-Team-Aufgabe?
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Was würde sich also ändern, wenn man nun eine Spezialfunktion damit beauftragt? Diese möglicherweise sogar dezidiert von außen hereinholt. Oder verordnet bekommt … vom Aufsichtsrat oder von starken Stakeholdern. Also mir fällt es schwer, mir die Sache nett vorstellen – umrankt von „Business Angels“ beispielsweise oder umsorgt von Supervisoren und Inspektoren. Ich denke instinktiv – an einen Kriegsminister im Vorstand. Wer würde sich freuen auf den Neuen?
Inkasso ante portas
Nein, das war kein generisches Maskulinum. Die Autoren sprechen dezidiert von einem Mann. Von einem „erfahrenen, umsetzungsstarken“ CTO. Und relativieren das gleich ein wenig, indem sie den Job von klassischer Restrukturierung und Sanierung absetzen, was Job eines CRO (Chief Reorganisation Officer) sei. „Die Transformation [setzt] idealerweise weit vor einer zugespitzten Ergebnis- oder Liquiditätskrise an. Hier sind die unternehmerischen Spielräume deutlich ausgeprägter und umfassender.“
Chief Transformation Officer sei ein neues Berufsfeld, meinen die Autoren. Und warten mit den Ergebnissen der Befragung von über 400 CTOs auf. Wie man nun zu dieser Stichprobe von „Sanierungs- und Restrukturierungsprofessionals“ gekommen ist, bleibt unklar. Es werden aber sogleich die Profile von CTO und CRO verglichen. Und zwar „bezüglich der idealtypischen Persönlichkeits- und Kompetenzprofile“. Denn, so sagen fast 60 Prozent der Befragten, da gäbe es grundlegende Unterschiede. „Während der CRO in der akuten Krise idealerweise über eine vergleichsweise hohe Kompetenz im Bereich Turnaround- und Krisenmanagement sowie Finanzwirtschaft und Liquiditätsmanagement verfügen muss, sollte der CTO insbesondere in den Bereichen Strategie und Geschäftsmodell, Change Management und Digitalisierung über ein hohes Kompetenzlevel verfügen.“
Die harte Hand
Die Autoren spitzen den Unterschied noch zu: Der CRO sei im „Firefighting-Modus“ unterwegs. Keine Zeit für Diskussionen. Hier zähle Durchsetzungsvermögen. Ich beginne zu frösteln, weil mir die Geschichten eines solchen Sanierers wieder einfallen, die er mir vor Jahren mal berichtete. Beispielsweise wie er vor den Hinterausgang der Stadthalle vorfuhr. Mit einem hochmotorisierten Wagen nebst Chauffeur. Der wartete mit laufendem Motor, während er mit seinen beiden Bodyguards auf der Bühne aufschlug und der verdutzten Betriebsversammlung kurz und schmerzhaft die Insolvenz und Massenentlassung verkündete. Und während das Publikum noch nach Luft schnappte, war er schon wieder verschwunden. Doch die koronaren Beschwerden, die chronische Schlaflosigkeit, all das ließ ihn müde werden. Er sehnte sich nach einem weniger stressigen Job, wollte nun Business-Coach werden …
Um das mal festzuhalten: Für mich sind es zwei Paar Schuhe, ob der Feuerwehrmann mein Haus löscht oder der Notarzt mein Leben rettet. Das Haus kann ich im Zweifelsfall wieder aufbauen. „Der oder die CTO hat hingegen eine hohe Kompetenz, wenn es darum geht, eine gemeinsame Teamvision zu erzeugen und die Mitarbeitenden einzubinden. Darüber hinaus sollte der CTO eine große Offenheit für neue Erfahrungen mitbringen, um in der Lage zu sein, neue und kreative Lösungen zu finden.“ Also die Hütte brennt noch nicht lichterloh, aber man riecht schon unangenehm den Kabelbrand. Und da platzt dann so ein Napoleon herein. Der brüllt „Alles hört auf mein Kommando!“ (=gemeinsame Teamvision und Einbinden der Mitarbeitenden) und „Mir nach!“ (=kreative Lösungen). Wieder läuft es mir kalt den Rücken herunter. Es atmet sich halt nicht so unbeschwert mit der Pistole auf der Brust.
Stakeholder-Management
Was beide Rollen verbinde, so die Autoren, sie müssten alle Stakeholder ins Boot zu holen. Au weia, denke ich, bei solchen Sprüchen springt gleich mein Bullshit-Detektor an: Alle in einem Boot – doch die einen rudern unter Deck der Galeere. Und die andern stehen auf der Brücke mit der Peitsche in der Hand. Und meine Vorahnung scheint mich nicht zu täuschen: „Die Bedeutung eines relevanten Netzwerks zu Fachjuristen, Beratern und Finanzierern ist daher beim CRO deutlich stärker ausgeprägt als bei einem CTO.“ Der CRO kommt also nicht allein. Er hat immer seine Spezis, die mit dem schweren Gerät und den scharfen Hunden, im Schlepptau. Und dahinter wieseln dann die externen Gläubiger rum, die Auftraggeber. Die wollen ihr Geld retten – um (fast?) jeden Preis. Oder zumindest die günstige Gelegenheit für ein Schnäppchen nutzen. So kann das Stakeholder- ganz schnell ins Shareholder-Management kippen.
Der CTO habe mehr Spielraum. Und die Stakeholder seien eher interne, wiegeln die Autoren ab: „Primäre Impulsgeber sind Gesellschafter (27 Prozent), Geschäftsführung (27 Prozent) und Aufsichtsgremien (22 Prozent). Der Arbeitnehmervertretung kommt als Initiator für eine Veränderung aus Sicht der Expertinnen und Experten nur eine untergeordnete Rolle zu (2 Prozent).“ So viel also zum Thema betriebliche Mitbestimmung. Wie heißt es so schön in § 2 BetrVG: „Arbeitgeber und Betriebsrat arbeiten unter Beachtung der geltenden Tarifverträge vertrauensvoll [sic!] und im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs zusammen.“
Ganz Gallien: besetzt
CTOs leben offensichtlich in einer anderen Welt. Die Berater- (16 %) oder Beiratsrolle (6 %) mögen sie offensichtlich weniger. Sie lieben vielmehr Stärke und umfassende Handlungsvollmachten: „L’État, c’est moi!“ Wenn sie an Bord kommen, dann bleiben sie mindestens 6 Monate – woraus dann leicht bis zu drei Jahre werden können. Und wo gehobelt werde, da fallen auch Spähne. Anschließend kann man in der Regel stolz auf das Erreichte sein: „Die Strategie und das Geschäftsmodell wurden neu ausgerichtet, die Profitabilität verbessert und die Unternehmenskultur zum Positiven verändert.“
Ach, für mich war Unternehmenskultur immer ein wertneutraler Begriff. Vielleicht bin ich aber auch ein Sozialromantiker. Doch tauschen wir mal die Kriegs- mit der Notarzt-Metapher aus: Beim Bummeln durch die Stadt ereilt mich ein Herzinfarkt. Zeit für Diskussionen? Für „Kügelchen“? Oder Sonderwünsche ans Menü im Krankenhaus? Die Frage bleibt trotzdem: Wer kontrolliert die Notärztin? An welche Regeln muss sie sich halten, vor wem muss sie sich rechtfertigen? Ab wann, unter welchen Umständen und in welchen Bereichen erlange ich meine Autonomie wieder? Und wie wird das alles verhandelt?
Guter Bulle, böser Bulle
Diese Fragen werden im Beitrag nicht diskutiert. Ich bin insbesondere skeptisch, was das Thema Kulturentwicklung betrifft. Das kennt man von mir (Gehirnwäscherei). Es mag durchaus sein, dass Mitarbeitende aus einem solchen geretteten Unternehmen im Nachhinein sagen: „Der Schock war hart, doch das Durchgreifen heilsam. Heute geht es uns besser.“ Das will ich überhaupt nicht anzweifeln oder bagatellisieren. Gerne hätte ich dazu allerdings Zahlen gesehen. Vielleicht ist es auch nur die Ausnahme? Was mich stört: Mir fällt eine etwas hinterhältige Logik im Beitrag auf. Es erinnert mich an die alte „Guter Bulle, böser Bulle“-Nummer. Man droht mit dem Ultimativen, dem CRO, um sich damit als CTO weites Entgegenkommen und Handlungsvollmachten zu sichern. Das finde ich halbseiden bis zynisch und erinnert mich wieder an so eine Geschichte: „Schöne Einrichtung in ihrem Laden. Es wäre wirklich schade, wenn das hier alles zu Bruch ginge …“
Es mag sein, dass manche Unternehmen zu lange mit Veränderungen warten. Dass es besser wäre, früher und beherzter Maßnahmen für eine Neuausrichtung zu ergreifen. Wessen Schuld ist das? Die von Geschäftsführung, Vorstand oder Aufsichtsgremien. Vielleicht auch die von externen Stakeholdern, die das Spiel zu lange toleriert haben. Dann liegen die Verantwortung und die Option doch dort. Dann muss man halt die Führung austauschen. Und wenn man es nicht oder zu spät macht, ist man selbst schuld. Das gilt auch für ein Co-Management des Betriebsrats. Oder für eine satte, änderungsresistente Mitarbeiterschaft. Ich weiß, die kann man nicht so leicht austauschen wie den „Trainer“ … Aber rechtfertigt das ein autokratisches Regime?
Ausmisten
Wer weiß, vielleicht würden die Autoren nun argumentieren, es bräuchte eben Effet, das Pendel müsse zunächst heftig zur anderen Seite ausschlagen, bis es sich wieder in den Normalbereich einfinden könne. Management-Papst John Kotter nennt das „Urgency“. Solche schrägen Argumentationslinien kennen wir auch aus der politischen Diskussion. Aber, wer garantiert mir, dass Diktatoren sich nach einiger Zeit wieder an die Leine legen lassen – oder sich ganz trollen? Ist das nicht gefährlich? Und welche Nebenwirkungen hat die – ich springe mal ins nächste Bild – harte Antibiotika-Therapie? Wenn die Darmflora zerstört ist, helfen mir keine sozialdarwinistischen Sprüche wie „Nur die Härtesten überleben“.
Auf den betrieblichen Kontext übertragen sprechen wir beispielsweise von Braindrain. Wenn die Krise offensichtlich wird, verschwinden die besten Mitarbeiter als erstes. Und nicht nur die „Vollpfosten“ bleiben, auch die Familienmütter und -väter, die gerade ein Haus gekauft haben. Kurz: Mir erscheint diese ganze Konzeption zu oberflächlich und (finanz-)technokratisch, zu wenig differenziert und nicht ganzheitlich. Der zugrundeliegende Fragebogen wird nicht erläutert. Ob er valide ist, sich auf anerkannte wissenschaftliche Konstrukte bezieht, bleibt unklar. So behaupte ich, dass das Thema „Persönlichkeit“ in diesem Zusammenhang irrelevant ist. Was die Autoren genau mit Kompetenz meinen, hat sich mir nicht erschlossen. Hypothesen und deren statistische Überprüfung werden nicht dargelegt. Die von den Autoren präsentierten Ergebnisse erscheinen holzschnittartig und pauschal. Das reicht mir – und aller Wahrscheinlichkeit nach auch dem zuständigen Bundesinstitut für berufliche Bildung (BIBB) – schlicht nicht, um ein neues Berufsfeld zu etablieren. Es scheint bloß Klappern zu sein, das zum Handwerk gehört.