21. November 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Digitale Strippenzieher

KRITIK: Ich teile die grundsätzliche Kritik der Autorin (Dataveillance. Die Rückkehr des Taylorismus unter digitalen Vorzeichen): Es gibt eine starke Tendenz, unter dem Stichwort „People Analytics“ den ollen Taylorismus wieder hoffähig zu machen und sogar auf die Spitze zu treiben in Richtung Überwachungsregime. Die These ist insbesondere deshalb ernstzunehmen, da die Treiber dieser Entwicklung zumeist aus der IT oder BWL stammen und sich die Welt wie eine Maschine vorstellen. Ich finde diese Kritik andererseits aber auch etwas einseitig und überzogen. Aber fangen wir vorne an …

Man kann sich die Geschichte des Kapitalismus als eine Geschichte der zunehmenden Kontrolle der Arbeiterschaft vorstellen. Autorin Nora Stampfl verweist hier auf ein Buch von Harry Braverman aus den 1970er-Jahren. Mir fällt dazu noch Charlie Chaplins genialer Film „Modern Times“ ein, natürlich Orwells „1984“, Huxleys „Schöne neue Welt“ und dieses, Henry Ford zugeschriebene Bonmot: „Ich wollte immer bloß zwei Hände, es kam aber immer ein ganzer Mensch“. Die Autorin springt dann ans Ende der 1980er-Jahre und führt den Begriff Dataveillance (=data + surveillance) ein, der auf eine Veröffentlichung von Clarke zurückgeht. Er meint das systematische Monitoring menschlicher Handlungen oder Kommunikation mithilfe von Informationstechnologie.


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Überwachungsterror

Aber sie geht noch einen Schritt weiter und konstatiert, „dass die heutige digitale und vernetzte Arbeitsumgebung subtilere, weniger brachiale Strategien der Überwachung und Kontrolle zulässt“. Big Data am Arbeitsplatz: „Mit der datenmäßigen Abbildung von Verhalten am Arbeitsplatz ist die Möglichkeit entstanden, eine riesige Transparenzmaschinerie in Gang zu setzen.“
Das Tracking von Mitarbeitern ist auch proaktiv nutzbar: Indem man die „unknown unknowns“ sucht und interpretiert. Der nächste dramaturgische Schritt in der Argumentation der Autorin ist die Einführung der Figur des Panoptikums in der Tradition Michel Foucaults, der sich wiederum auf Jeremy Bentham bezieht: Ein kreisförmiges Gefängnis mit einem Wachturm in der Mitte. Die Gefangenen können vom Wärter jederzeit gesehen werden, sie wissen allerdings nicht, wann genau das geschieht, sie selbst können den Wärter aber nicht sehen. Die totale Kontrolle wird folglich introjiziert als „Schere im Kopf“, der Wärter wird damit überflüssig – Kafka lässt grüßen.

Ein Verständnis des Unternehmens als perfektes Regelkreismodell ist eine Dystopie. Die Autorin bringt an dieser Stelle das Beispiel Amazon: Die „Picker“ in den Logistikzentren sind komplett „verkabelt“. Führung wird hier wie im Taylorismus oder auch im Bürokratiemodell letztlich überflüssig. Das erledigt der Apparat. Doch an dieser Stelle geht der Autorin leider die Luft aus und sie konstatiert pauschal, dass heutzutage ein anderes Führungsverständnis nötig sei, das auf Vertrauen aufbaue.

Alte Wunschbilder der totalen Kontrolle

Die aktuelle Diagnose kann man durchaus teilen: Nicht nur Facebook, LinkedIn etc., sondern auch IT & HR im eigenen Unternehmen wissen vielleicht mehr über mich als ich selbst – wie man so schön sagt. Ich werde überall getrackt und reagiere darauf mit vorauseilendem Gehorsam. So könnte man das einseitig pessimistisch sehen. Dafür gibt es in der Tat aktuelle Hinweise, die ich auch schon kritisch kommentiert habe. Doch man sollte die Argumentation nicht so schwarz/weiß fahren, wie das Autorin Nora Stampfl macht.

Die Logik dieser ganzen Schlüsse, die IT & HR hier ziehen können (Passe ich zum Unternehmen? Bewähre ich mich in der Arbeit? Leiste ich wirklich 100% oder betrüge ich das Unternehmen durch Schlendrian oder sogar durch Korruption? Wann werde ich kündigen?), die bleibt doch zumeist im Dunklen. Wenn IT & HR nach dem Motto, garbage in, garbage out, managt, also Vorurteile und einseitige Unterstellungen (z.B. Sozialphysik) hineinprogrammiert und exekutiert, oder die Algorithmen selbst gar nicht mehr versteht und dann das von der Maschine gefundene korrelative Muster kausal interpretiert, ist die Gefahr groß, dass solches Tun in groben Unfug ausartet, der gehörigen Schaden anrichten kann. Man muss also nicht erst auf den Betriebsrat warten, der zu Recht (!) mit der Datenschutzkeule droht, sondern man könnte (und sollte) als verantwortlicher IT/HR-Mitarbeiter auch das eigene Denkorgan anstrengen.

Ist das logisch und klug?

Zweiter Punkt: Zwischen Taylorismus und modernen Führungsanforderungen liegen noch etliche weitere Landmarken. Fangen wir mit der Entdeckung des Social Man (Human Relation Bewegung) an, gehen wir weiter über Situative zur Transformationalen Führung bis hin zu New Work: Es ist einfach holzschnittartig, Mitarbeiter als naive Opfer dieser Entwicklung darzustellen. Sie sind gleichfalls aktive Agenten, die Impression Management einsetzen und geschickt für sich netzwerken. Die alten Wunschbilder der totalen Kontrolle – Taylorismus, Bürokratiemodell oder der Traum von der computergesteuerten, menschenleeren Fabrik in den 1980er-Jahren – sind alle gescheitert.

Dritter Punkt: Das Regelkreismodell ist die Fortsetzung des Taylorismus mit raffinierteren Mitteln. Das ist richtig erkannt. Zugleich muss das Regelkreismodell aber anerkennen, dass der Mensch mehr ist als eine Black Box. Menschen haben ihre eigenen Ideen und reagieren recht individuell. Das fängt das Modell mit Differenzierung auf. Was es aber nicht erklären kann ist, wie Neues in die Welt kommt. Dafür müsste man ein neues Paradigma bemühen. Und das gibt es auch längst: Die personzentrierte Systemtheorie beispielsweise fokussiert auf Selbstorganisation, auf Kontextualität und Umgang mit Komplexität und Dynamik. Sie kann erklären, wie Neues in die Welt kommt, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Einzelteile. Die Prämissen und Konsequenzen haben eine hohe Anschlussfähigkeit an moderne Konzepte wie New Work, Agilität etc. – lassen wir mal die berechtigte Kritik an Stilblüten, die man mit Berufung auf diese Konzepte auch konzedieren muss, außen vor.

Und der Faktor Mensch

Wer also auf Empowerment der Mitarbeiter setzt, weil er überzeugt ist, dass dieser Weg besser ist als der alte Command’n’control-Stil, wird doch nicht unkritisch der „Datenkrake“ frönen. Der wird doch aus eigenem Interesse sehr sensibel mit der Datentechnologie umgehen, der wird das Thema mit Mitarbeitern diskutieren und sie mitentscheiden lassen, wie man das Gute der Technologie nutzen kann, ohne dass es zu unguten Auswüchsen kommt (die einem sowieso auf die eigenen Füße fallen). So wird Commitment erzeugt, Motivation, Begeisterung, Vertrauen – und Innovation und Produktivität.

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