PRAXIS: Sie sind von Ihrem Projekt überzeugt, mehr noch: Das ganze Team steht hinter der Idee. Aber um es zu finanzieren, brauchen Sie Geld. Wie überzeugt man andere, die notwendigen Mittel bereitzustellen? Wer andere um Geld bittet, fühlt sich in der Regel wie ein Bittsteller, und das mag kaum jemand. Aber wenn es bei dem Projekt um mehr als um Profit geht, sondern um eine Sache, die für eine bestimmte Gemeinschaft von Bedeutung ist, dann können die Team-Mitglieder anders an die Sache herangehen.
Sie suchen dann nämlich nicht nur Geldgeber, sondern Menschen, zu denen sie eine ebenbürtige Beziehung herstellen. Die einen geben ihr Know how und ihren Einsatz, die anderen die finanziellen Mittel. Letztere sind nicht mehr wert, weil sie das Geld haben, aber auch nicht weniger. Beide leisten ihren Beitrag zum Gelingen des Projektes. Diese Haltung verändert die Sicht auf die unbeliebte Aufgabe des Geld-Einsammelns, muss aber erst erarbeitet werden, zum Beispiel in einem Workshop, der wie folgt aufgebaut ist:
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- Den eigenen Balance-Punkt finden: Alle sitzen im Kreis, nach einem kurzen Check-in, danach überlegt jeder für sich, welchen finanziellen Beitrag er selbst zum eigenen Projekt beitragen kann. Das ist der persönliche Balance-Punkt: Er sollte nicht zu klein sein, dass er mal so eben entbehrlich ist, aber auch nicht zu groß, dass er ein starke Belastung darstellen würde. Jeder überlegt, was er zur Verfügung hat und wieviel er davon für das Projekt bereitstellen würde. Er geht dann noch einen kleinen Schritt darüber hinaus. Diesen Betrag schreibt jeder auf mit einem Datum, ab wann er das Geld zur Verfügung steht.
Die Idee ist, dass man mit dem Fundraising in der eigenen Gruppe beginnt und sicherstellt, dass man von anderen etwas verlangt, was man nicht auch selbst bereit ist, für das Projekt einzubringen. Selbst wenn man feststellt, man kann außer seiner eigenen Arbeit keine finanziellen Mittel beisteuern kann, wahrt man seine Integrität. Und hat schon die ersten Mittel beisammen. - Netzwerke teilen: Jeder wählt Menschen aus seiner Umgebung (Verwandte, Freunde, Bekannte, Kollegen usw.), die er in den nächsten drei Wochen persönlich treffen und um einen Beitrag zu dem Projekt bitten möchte. Damit übt man auch das Empowered Fundraising und kann später Menschen ansprechen, die man nicht kennt. Die Namen schreibt jeder auf eine Liste.
- Balance-Punkt anderer finden: Alle schätzen für die Menschen auf ihrer Liste deren persönlichen Balance-Punkte, also den Betrag, der für diese weder Kleingeld noch Opfer darstellen würde. Der Betrag wird hinter jeden Namen geschrieben. Dann treffen sich alle wieder im Kreis und addieren die Beträge. Somit steht das Funding-Ziel die nächsten drei Wochen.
- Fundraising-Gespräche führen: Nach dem Workshop vereinbart jedes Team-Mitglied einen Termin mit den ersten drei Menschen auf seiner Liste, möglichst in Präsenz. Über die Erfahrungen dabei tauschen sich die Mitglieder immer wieder aus und unterstützen sich gegenseitig.
- Nächste Schritte planen: Das Team trifft sich nach drei Wochen und spricht über die Erfahrungen. Es vergleicht die erzielten Summen mit dem, was es sich vorgenommen hat. Ist der Betrag noch nicht erreicht, sind vielleicht Anpassungen der Strategie nötig. Oder man sucht neue Netzwerke, wobei man Empfehlungen der Menschen aus den ersten Gesprächen folgen kann.
Der Ablauf der Gespräche folgt einer klaren Struktur, die hilft, den für die meisten Menschen schwierigen Schritt zu gehen:
- Einladen: Zunächst wird von dem Projekt erzählt, und zwar aus eigener Überzeugung. Dabei macht man sich bewusst, dass man nicht als Bittsteller auftritt, sondern als jemand, der den anderen einlädt, Teil dieses wichtigen Projektes zu werden. Das aber kann man eben nicht allein umsetzen, sondern nur, wenn viele mit von der Partie sind. Dann erklärt man, dass man sich freuen würde, wenn der andere einen Beitrag dazu leistet, und zwar in Form von X Euro (dem zuvor eingeschätzten Balance-Punkt). Dann folgt eine Pause, die man aushalten muss (was vielen schwerfällt).
- Jede Antwort willkommen heißen: Egal, welche Antwort man erhält, sie gilt es zu würdigen, selbst wenn der andere kein Geld geben möchte. Dabei hilft es, sich selbst zu beobachten, während der andere antwortet. Es sollte sich in Ordnung anfühlen, wenn der andere Nein sagt, denn worum es geht, ist die Beziehung zum anderen. Wenn sich ein Nein nicht okay anfühlt, war die Frage keine wirkliche Einladung. Wenn es sich so anfühlt, sollte man sich nicht selbst verurteilen, sondern einfach nur die Feststellung treffen, es wahrnehmen.
- Verbindung vertiefen: Egal, wie die Antwort ausgefallen ist, das Gespräch endet mit drei Fragen:
„Darf ich fragen, warum du X Euro gibst? Wir würden gerne wissen, warum Menschen unsere Einladung annehmen oder ablehnen?“
„Möchtest du über den weiteren Fortgang des Projektes auf dem Laufenden gehalten werden?“
„Kennst du andere Menschen, die an dem Projekt Interesse haben könnten? Kannst du sie uns vorstellen?“
Man kann zum Abschluss auch fragen, wie der andere die Idee des Empowerd Fundraising findet.
Wenn sich die Mitglieder unsicher sind, ob ihnen diese Gespräche gelingen, bietet sich an, sie in einem Rollenspiel zu üben.
Das lässt sich nicht 1:1 auf jedes Projekt übertragen, aber die Kernfragen „Was ist uns selbst unser Projekt wert?“ und „Wie finden wir für unser Projekt die notwendige Unterstützung?“ durchaus. Je nach Ausgangslage könnte man das Vorgehen sicher anpassen.
(aus: Ilona Koglin / Julia Kommerell: Das Dragon Dreaming Playbook. S. 163-167)