4. Oktober 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Ist agiles Arbeiten gesund?

KRITIK: Führen agile Arbeitspraktiken dazu, besser mit hohen Arbeitsanforderungen umzugehen zu können? Oder produzieren sie vielmehr Selbstausbeutung, Konflikte und Stress? Solche Fragen werden seit einigen Jahren kontrovers diskutiert.

Eine Forschungsstudie (Healthy New Work) – vermutlich eine Masterarbeit – nimmt das „Job Demands-Resources“-Modell als theoretischen Rahmen. Dieses vor 20 Jahren in der Arbeitspsychologie entwickelte Modell hat sich in der Wissenschaft inzwischen bewährt und etabliert. Es postuliert, dass hohe Arbeitsanforderungen nicht direkt in Überforderung, Stress und Burnout führen müssen. Bedingung dafür ist allerdings, dass die Mitarbeitenden zugleich auf Ressourcen zugreifen können. Wer nun leichtfertig glaubt, damit das Perpetuum Mobile des Arbeitslebens gefunden zu haben, sollte zunächst genauer hinschauen, was mit Ressourcen gemeint ist. Denn die haben es in sich: Selbstorganisation, Handlungsspielraum, soziale Unterstützung, gute Führung und gute Organisation.


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Geht Agilität zulasten der Gesundheit?

Potenzielle „Ausbeuter“ werden sich da bedanken und schnell verabschieden. Es sei denn sie kommen auf die schlaue Idee, das Ding in Richtung Selbstausbeutung zu drehen. Genau solche Kritik wird seit geraumer Zeit an agilen Arbeitsmodellen geäußert. Die entscheidende Frage lautet folglich, ob Agilität zulasten der Gesundheit geht.

Als Arbeitsanforderungen nahmen die Forscher:innen aus Leipzig Arbeitslast, Zeitdruck und Arbeitsunterbrechungen in den Blick. Zugleich gingen sie – wie das schon die Selbstbestimmungstheorie postuliert – davon aus, dass Autonomie, Feedback und Unterstützung durch die Kollegen solche entscheidenden Grundbedürfnisse sind, die in agilen Arbeitskontexten besonders zum Tragen kommen. Oder kurz gesagt: Die agilen Prinzipien bedingen eine gute Arbeitsgestaltung, die wiederum die Gefahr emotionaler Erschöpfung verringert. Zugleich begünstigt die agile Praxis die Entwicklung von Ressourcen, die wiederum das emotionale Engagement positiv beeinflussen. Eine Win-win-Situation.

Der „Doppel-Wumms“

Die Forscher bauten sich ein Design mit zwei Messzeitpunkten auf und akquirierten Personen, die in agilen Teams arbeiten, als Studienteilnehmerinnen. Zunächst wurden die Praktiken erhoben. Sechs Wochen später wurden die Arbeitsanforderungen und -ressourcen erhoben sowie die Ergebnisvariablen emotionales Engagement und Ermüdung. Zum Einsatz kamen bewährte Items und Skalen, die zu einem Fragebogen zusammengeführt wurden, den die 260 Teilnehmer aus verschiedenen Branchen beantworteten. „Die meisten Teilnehmer waren männlich und jünger als 40 Jahre.“

Die Ergebnisse, die man mit einen Strukturgleichungsmodell erzielte, waren wie erhofft positiv und signifikant: Agile Praktiken verringern Arbeitsanforderungen. Und förderliche Arbeitsanforderungen verringern emotionale Ermüdung. Agile Praktiken fördern Ressourcen. Und viele Arbeitsressourcen wirken positiv auf emotionales Engagement. Auch die indirekten Wirkungen waren signifikant. Ein besseres, erfreulicheres Ergebnis hätte man sich kaum vorstellen können: Agiles Arbeiten ist also gesundheitsförderlich.

Für Risiken und Nebenwirkungen …

Und doch gibt es Einschränkungen. Und es liest sich fast wie der Beipackzettel zu einem Medikament: Die Liste der Risiken und Nebenwirkungen ist dort auch oft um ein Vielfaches länger als der erhoffte Nutzen.

  • Die Ergebnisse basieren nur auf Selbstaussagen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die „agile Workforce“ ihre Lage schönredet.
  • Es wurden auch nur auf vier agile Praktiken fokussiert: Selbstorganisation, iterative Planung, inkrementelles Vorgehen, Retrospektiven.
  • Weitere Variablen wie der organisatorische Kontext können mit den Arbeitsanforderungen interagieren – und den Befund konterkarieren.

Wenn man sich die Studie einmal genauer und bei Licht betrachtet, kommen also all die früher schon vermuteten Kritikpunkte wieder auf den Tisch: Der Kunde macht Stress, das Management lässt das agile Team im Stich etc. pp. „Es ist möglich, dass weitere agile Arbeitspraktiken oder die gleichen Praktiken unter anderen Arbeitsbedingungen gegenteilige Effekte erzeugen und Risiken für die Gesundheit darstellen könnten.“ Da wird einem doch ganz anders! Und eine solche Studie zeigt dann auch wieder, wie limitiert und gefährlich (!) solche reinen Befragungen vom grünen Tisch aus sind.

Wie es besser geht

Will man validere Ergebnisse bekommen, muss man vor Ort gehen und die Leute auf der Arbeit beobachten. Zudem dürfte es hilfreich sein, auch tatsächliche physische Daten zu erfassen (Arbeitsmenge, Zeitdruck etc.), statt aufs Hörensagen zu vertrauen. Und dann könnte/sollte man auch noch – Hand aufs Herz! – physiologische Daten erheben (Stressmaße wie Hormonausschüttungen, Blutdruck etc.). Mit einer solchen vieräugigen Optik, die in der Arbeitspsychologie Standard ist, bekommt man mit Sicherheit zuverlässigere Ergebnisse. Natürlich bedeutet das einen Haufen Mehrarbeit. Aber dann muss man sich auch nicht vorhalten lassen, man habe sich einen netten Bären aufbinden lassen.

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