KRITIK: Warum mit Einzelunternehmern Einzelverträge schließen, wenn man auch alles am Stück beim Großhändler einkaufen kann? Was eBay, Amazon & Co. für den B2C-Bereich vorgemacht haben, kopiert man nun in den B2B-Bereich. Unternehmen können ihr Bildungsgeschäft komplett outsourcen. Manche Unternehmen finden das klasse. Die Plattform-Companies sowieso. Sie haben in den letzten Monaten Millionen an Venture-Capital eingesammelt. Und die dritte Seite, die Coaches, quälen sich mit Fragen: Mitmachen? Sich das lästige Marketing vom Halse schaffen? Dafür auf Umsatzanteile verzichten? Und sich in die Plattform einfügen, vielleicht sogar abhängig machen? Seit vorletztem Jahr beschäftigt das Thema Plattformökonomie die Coaching-Szene.
„It’s so hot“, zitiert Autor Martin Pichler den Tech-Analysten Josh Bersin („Trend zu Digital Coaching Providern“). Der Provider sammelt Unternehmen und Coaches ein und wickelt das Geschäft dann über seine IT-Infrastruktur ab. Es beginnt mit dem Matching von Klienten und Coach, setzt sich in der digitalen Arbeit fort und endet mit einem Reporting. Und alles wird von A bis Z digital administriert. Irgendwie praktisch. Josh Bersin betrachtet diese Art des Coachings als „wesentlichen Bestandteil der Führungskräfteentwicklung,“ als „Allzweckwaffe“ für ein globales Problem: „Das größte Problem, das Berufstätige haben, ist die fehlende Selbsterkenntnis. Die Entwicklung von Führungskräften ist eine persönliche Reise. Wir brauchen jemanden, mit dem wir auf diese Reise gehen können und über unsere persönlichen Herausforderungen bei der Arbeit sprechen.“
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Könnten solche Zeilen nicht auch in der Bibel, im Koran oder anderen religiösen Schriften stehen? Es klingt schwer nach religiöser Predigt. Einer digital hochgebockten: Denn der Coach braucht dann bloß noch die Daten des 360-Grad-Feedbacks, und der Klient die App des Digital Coaching Providers. Stefan Kühl nannte das vor Jahren schon die „Die nur fast gelingende Schließung des Personalentwicklungszyklus“. Ob wir nun einen Schritt weiter sind? Ron Hubbard, der Gründer von Scientology, wurde offenbar zu früh geboren, welchen mächtigen Hebel könnte er heute bewegen? Dass ich nicht falsch verstanden werde: Diese Gedanken stammen nicht vom Autor Martin Pichler. Der berichtet lediglich süffisant, dass Bersin über den Einsatz von KI in diesem Geschäft nachdenkt.
Nicht nur der pseudoreligiöse Ansatz lässt den Skeptiker hellhörig werden. Ein großes Problem an der Sache ist, dass hier eine Produktlogik auf den Dienstleistungsbereich übertragen wird. Und das produziert gehörige Schwierigkeiten: Mit dem Outsourcing verbunden ist zumeist ein Abbau von Kompetenz im Unternehmen. Das muss man wollen und verantworten. Christine Kaul, lange Zeit oberste Coach-Maklerin des Volkswagen-Konzerns begründete seinerzeit ihre Tätigkeit mit dem Anliegen, „Schaden vom Unternehmen abzuwenden“. Das Matching von Coach und Klienten soll bei den Plattformunternehmen „voll automatisch“ mittels KI erfolgen. Früher hieß das Black Box, der Worst Case in der Personalauswahl und strikt zu vermeiden. Seit über 20 Jahren nachzulesen in der DIN 33430. Und es wird leider aktuell viel Blödsinn betrieben unter der Fahne KI (Topf und Deckel).
Dann wäre der ganze Coaching-Prozess auf seine Wirksamkeit zu untersuchen. Was ist eigentlich möglich über eine App? Und ist das eigentlich Coaching – oder etwas anderes? Und am Ende gibt es eine Evaluation: Was genau soll man sich darunter vorstellen? Coaching ist eine Dienstleistung und somit eine Koproduktion. Lediglich den Coach und seine Arbeit bewerten zu lassen, wäre ein grober Kunstfehler. Und wird nur das Ergebnis bewertet oder auch der Prozess?
So viele Fragen. So viele Berichte, um Bert Brecht zu zitieren. Sehr vieles bleibt hier noch im Nebel. Sollte aber geklärt werden. Kein Grund also für naiv-euphorische Jubelchöre. Und erst recht keine mit Hosianna und Halleluja gespickten.