KRITIK: Zugegeben, die Wirtschaftswoche wäre jetzt nicht mein bevorzugtes Medium, um mir erklären zu lassen, was „laterale Führung“ bedeutet. Andererseits: Sie wird vermutlich von vielen gelesen, die Führungspositionen bekleiden. Und vielleicht sollte man wissen, was diese zum Thema vermittelt bekommen.
Also: Da geht es erst einmal um das Übliche. Viele Unternehmen bauen Hierarchieebenen ab. Wenn die Mitarbeiter sich selbst führen können und wollen, dann braucht man eben weniger Vorgesetzte. Das spart vor allem Geld und verspricht mehr Zufriedenheit bei den Betroffenen. Denn die bekommen weniger Druck von oben und sind deshalb kreativer. Schließlich sind sie die Experten für ihren Job.
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Klingt ja auch erst mal logisch: Wer nicht mehr sechs, sondern 60 Mitarbeiter führt, kann weniger kontrollieren und diktieren. Steht zwar im krassen Gegensatz zur Forderung, dass Vorgesetzte ihre Mitarbeiter coachen und viel mit ihnen reden sollen (Drei Millionen Gespräche), aber: Man kann nicht alles haben.
Lateral
Und weil man eben nicht mehr jeden kontrollieren kann, lautet die Lösung: „Laterale Führung“. Und dazu braucht man andere Werte, nämlich Erfahrung, Fachwissen, Charisma und Menschenkenntnis (ach wirklich? Siehe: Führung braucht Fachkompetenz). So wie die Menschen in dem Beitrag (Von der Seitenlinie). Sie sprechen mit ihren Teams die Ziele ab, legen Aufgaben und Verantwortlichkeiten und einen Zeitplan fest. Und sorgen für Entscheidungen. Und hier wird es wieder lustig: Was bedeutet dieses „für Entscheidungen sorgen“? Das wird auch beim fortschrittlichsten Geschäftsführer, der nicht mehr so heißt, weil er alle Titel abgeschafft hat, deutlich.
Laterale Führungskräfte lassen viel Handlungsspielraum, stehen also nur an der Seitenlinie, aber wenn Beschlüsse anstehen, dann können sie „den eigenen Einfluss je nach Bedarf gewichten.“ Das geht so: Mal holt sich der Chef lediglich die Meinung ein und entscheidet allein, mal bittet er um eine Empfehlung und entscheidet dann. Oder er lässt das Team selbst entscheiden. Und natürlich wird vorher genau geklärt, bei welchen Situationen er welche dieser Varianten wählt.
Nicht mit Basisdemokratie verwechseln
Oder, wie ein Geschäftsführer es ausdrückt: Er will zwar „kein Partyboot, aber eben auch keine Galeere führen.„ Dann fällt der typische Hinweis, dass man laterale Führung natürlich nicht mit Basisdemokratie verwechseln darf. Wo kommen wir denn da hin? Wer was zu entscheiden hat, entscheidet eben immer noch der Chef. Damit bleibt irgendwie doch alles wie gehabt: Der eine lässt seine Mitarbeiter an der langen Leine laufen, der andere hält sie eben etwas kürzer. Ersteres darf sich jetzt „laterale Führung“ nennen. Wobei – wenn so viele Führungskräfte eingespart werden, bleibt den verbleibenden wenig anderes übrig.
Ach ja, das mit den Kosten. Immerhin wird erwähnt, dass diese Hoffnung vielleicht trügerisch ist. Wer Hierarchieebenen abbaut und damit teure Positionen einspart, der verlagert damit Aufgaben nach unten. Dumm nur, dass die Betroffenen merken, dass sie nun mehr Verantwortung haben, ohne entsprechend entlohnt zu werden. Das könnte die Motivation schmälern, selbst – oder erst recht – wenn man argumentiert: „Seid doch froh, immerhin könnt Ihr jetzt viel mehr selbst entscheiden. Das sollte Anreiz genug sein.“