KRITIK: Hier kommt eine kleine Denksportaufgabe. Ich zähle eine Reihe von Empfehlungen auf, und Sie, werte LeserInnen, raten, worum es geht. Also: Die Eigenverantwortung der Mitarbeiter stärken und sie ermächtigen; Kennzahlen grafisch aufarbeiten, um für Transparenz zu sorgen; die Mitarbeitenden respektieren und schätzen und eine Sprache wählen, die sie auch verstehen; Führung als Serviceleistung begreifen; Meetings mit Standardagenda versehen, sie kurz und knapp halten und für einen sinnvollen Teilnehmerkreis sorgen; als Führungskraft vor Ort auftauchen; klare Standards definieren usw.
Na, erraten? Diese „Tipps“ stammen aus Beiträgen zum Thema „Shopfloor-Management“ (Eigenverantwortliche Gestaltung ist das Ziel). Und ganz ehrlich, während ich das hier schreibe, tendiere ich dazu, meinen Text wieder zu löschen. Das ist alles so unglaublich banal und uralt, dass es sich eigentlich verbietet, ihm Beachtung zu schenken. Warum ich es dennoch tue? Weil ich mich frage, warum so etwas immer noch veröffentlicht wird. „The Visual Factory: Building Participation Through Shared Information“ erschien 1991 – wieso muss man heute noch erklären, dass es hilfreich ist, den Mitarbeitenden Kennzahlen zur Verfügung zu stellen?
Und wieso muss man Führungskräften empfehlen, sich in der Produktion sehen zu lassen? Oder erklären, wie eine Besprechung zu organisieren ist? Und vor allem: Dass „die Mitarbeiter auf dem Shopfloor respektiert und geschätzt werden“ müssen.
Es gibt vermutlich dafür nur eine Erklärung: Weil all das noch immer nicht an der Tagesordnung ist. Wie kann das sein? Fragen wir uns immer wieder bei Veröffentlichungen zum Thema „New Work“ (Down to Earth). Offenbar tun sich soziale Innovationen ungeheuer schwer. In dem erwähnten Beitrag wird eine Erklärung angeboten: Damit ein Shopfloor-Management mit den angesprochenen Merkmalen umgesetzt werden kann, bedarf es der Unterstützung des Managements. Das ist wahnsinnig originell. Aber: „Ein Top-down-Ansatz kann nachhaltig erfolgreich sein.“ Hier liegt meines Erachtens der Denkfehler. Wirkliche Veränderungen lassen sich vermutlich nur gemeinsam umsetzen. Tatsächlich aber sieht die Praxis anders aus, wie ein weiterer Beitrag in dem Heft der Personalführung zeigt (Die Transformation vorantreiben).
Frustrierend
Da erklären zwei Personalentwicklerinnen von Continental, wie sie ein globales Trainingsprogramm für Führungskräfte auf dem Shopfloor entwickelt und umgesetzt haben. Auch hier lesen wir wieder die Forderung, dass es wichtig sei, die Sprache, die in der Produktion gesprochen wird, zu verwenden. Weil, so hat man festgestellt, die verhandenen Programme „stark auf das akademische Umfeld ausgerichtet“ waren. Was hat man also gemacht? Natürlich erst mal die benötigten Führungskompetenzen definiert, ein „Erfolgsprofil unserer Führungskräfte in der Produktion erstellt“ – zusammen mit „Experten für Diagnostik, HR und Führungskräften aus den Werken“. Später wurden auch Beschäftigte in lokalen Feedbackgruppen eingebunden.
Ich werde den Eindruck nicht los, als habe sich hier auch nichts geändert. Nach wie vor sitzen PersonalerInnen an ihren Schreibtischen und tüfteln an Trainingsprogrammen für Menschen in Arbeitsbereichen, von denen sie keine Ahnung haben. Die von der Idee besessen sind, man müsse Menschen nur ausreichen schulen und trainieren, damit das mit der Führung klappt. Und denen, selbst wenn sie sich noch so bemühen, es nicht gelingt, eine gemeinsame Sprache zu finden mit jenen, die sie schulen und trainieren wollen. Statt sich als das zu verstehen, was sie von Führungskräften verlangen: Serviceleister zu sein. Frustrierend.