23. November 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Spüren, wofür man aufsteht

INSPIRATION: Wenn man im Homeoffice allein vor dem Bildschirm sitzt, kann es eher mal  vorkommen, dass man sich irgendwann fragt: „Wofür mache ich das hier alles?“ Offenbar geht es immer mehr Menschen im Beruf so, auch schon vor Corona. Das klassische Karriereding hat ausgedient, zumindest verliert es an Bedeutung. Aber der Beruf, von dem man als Kind geträumt hat, ist oft auch unerreichbar. Wie lautet die Konsequenz für Unternehmen und jeden einzelnen von uns? 

Der Harvard Business Manager hat ein Heft dem Schwerpunkt „Karriere“ gewidmet, mit vielen bekannten Erkenntnissen und Hinweisen. Menschen suchen mehr und mehr nach dem Sinn dessen, was sie tun, wollen spüren, wofür sie morgens aufstehen. Viele denken an Kündigung, weil sie keine Lust mehr haben, „sich den Erwartungen oder den Ansprüchen anderer unterzuordnen“. (Wie viel Karriere passt zu mir?) Die Bedürfnisse sind vertraut: Sie wollen Familie und Beruf besser miteinander verbinden und verzichten dafür auf Titel und fettes Gehalt. Sie wollen flexibler und räumlich unabhängiger arbeiten, Stichwort „Hybrid-Remote-Arbeitsmodell“.


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Wo ist der Sinn?

Die Herausforderung für Unternehmen ist groß, da ist die Rede von einer „flexiblen und agilen Gestaltung des Arbeitsplatzes und einer empathischen Struktur“. Entsprechend lassen sie sich was einfallen: Bei SAP gibt es kein „Human Resources“ mehr, sondern „Human-Experience-Management“ mit Weinproben, Ideen für die Sommerferien der Kinder, freie Tage für die mentale Gesundheit, Ergebnis- statt Präsenzkultur. Und so allmählich setzt sich wohl auch durch, dass Experten ähnlich wertvoll sind wie Führungskräfte, also gewinnt die Expertenkarriere an Bedeutung.

Schön, wenn zumindest das schon mal passiert. Ich erinnere mich an ein Assessment Center, bei dem der „Big Boss“ verkündete, gute Wissenschaftler finde man genug, man benötige vor allem High Potentials – im Sinne von Führungsnachwuchs. Fand ich damals schon so merkwürdig wie die Idee, Kompetenzmodelle zu entwickeln, Talente zu entdecken und auf einen Entwicklungspfad zu schicken. Schon damals konnte man „damit weder ermitteln, was ein Unternehmen in fünf Jahren brauchen wird, noch für Pluralität sorgen“. Wohl wahr. Nun müssen neue Glaubenssätze her, es geht um Kollaboration und Co-Kreation. Leider, so die Erkenntnis, sind die wenigsten Unternehmen bereit, sich zu bewegen. Sie halten all das nur für einen kurzfristigen Trend und halten an den alten Ideen fest. Wenn das mal nicht böse endet.

Alternative Identitäten

Und was ist mit uns, die wir noch mitten im Arbeitsleben stehen? Oder ans Grübeln kommen, wo wir irgendwann hingelangen könnten? Es gibt im Amerikanischen sogar einen Begriff dafür: Encore career – ein erfüllender Job in der zweiten Karrierehälfte so ab ca. 50. Wobei ich vermute, dass der Zeitpunkt immer mehr nach vorne rückt und viele schon deutlich früher überlegen, noch mal etwas anderes, vielleicht Sinnvolleres zu tun.

Hier hilft es, sich einmal Gedanken über „alternative Identitäten“ zu machen. Den Begriff verwendet Nico Rose in seinem Beitrag (Von welchem Leben haben Sie geträumt?). Die wenigsten haben Zeit ihres Lebens nur eine einzige berufliche Identität und machen das, was sie schon immer machen wollten. Die anderen tragen „ein ungelebtes Leben in sich“. Ob das nun der Sportstar, der Rockmusiker, der Lokomotivführer, der Tierpfleger, die Schauspielerin, die Gärtnerin, die Ärztin war und dann doch nicht wurde – diese Identitäten leben in uns fort und beeinflussen unser weiteres Leben. 

Bei manchen findet eine Transformation am Ende eines erfolgreichen Lebens statt – der Arzt, der nach der Pensionierung LKWs fährt, der Spitzensportler, der zum erfolgreichen Unternehmer wird. Andere schwenken plötzlich um – oft zur Überraschung ihres Umfeldes wie die erfolgreiche IT-lerin, die zu einem gemeinnützigen Verein (Wikimedia) wechselte, auch wenn das finanzielle Einbußen mit sich bringt (Hierarchien gibt es auch bei uns) oder der Manager, der sich zum Priester weihen lässt. Hier findet man meist eine enge Verbindung zwischen dem bisherigen Beruf und der neuen Berufung – oft sind es die gleichen Werte, um die es geht, nur auf einem anderen Gebiet.

Job-Crafting

Für diejenigen, die im Job bleiben, gibt es auch einige Möglichkeiten, „mit ihren alternativen Identitäten in Verbindung zu bleiben“. Tagträumen ist eine, auf Dauer vermutlich nicht ganz so erfüllend. „Nachempfindendes Ausagieren“ eine andere. Im Grunde ist es das, was manche als Hobby betreiben: Man sucht sich Möglichkeiten, „diese Lebensphase produktiv am Leben zu erhalten“. Und dann das bekannte „Job-Crafting“: Wir suchen uns im Job neue Aufgaben, fahren andere herunter und leben so eine der alten Identitäten aus. Das geht sogar rein kognitiv: Wir interpretieren unsere derzeitige Rolle neu oder wir integrieren sie gedanklich in unsere derzeitige Rolle. So könnte der verhinderte Mediziner durchaus Aspekte in seiner Managerrolle finden, die anderen helfen, gesünder zu leben.

Wem es nun so gar nicht gelingt, seine alternativen Identitäten zu integrieren (der Traum von einem Wimbledon-Sieg) und diesen sehr nachtrauert, der könnte sich vielleicht durch ein Ritual von ihnen verabschieden. Sich bedanken, was sie früher und all die Jahre für uns geleistet haben, welche Freude und welche Kraft sie uns gegeben haben, welche Fähigkeiten und Eigenschaften wir ihnen zu verdanken haben und dann eine angemessene Form des Abschieds finden. Hier – wie auch bei all den genannten Formen – könnte ein verständnisvoller Gesprächspartner oder professioneller Coach sicher wertvoll sein.

Liminalität

Sind Sie auch gedanklich im Umbruch? Gehören Sie zu denen, die in der Corona-Zeit zu der Erkenntnis gekommen sind, was sie nicht mehr wollen, aber noch nicht wissen, was Sie stattdessen tun möchten? Diesen Zustand des Übergangs bezeichnet man als „Liminalität“ – das Alte ist zwar abgeschlossen, aber die Zukunft ist noch ungewiss (Wie der Neustart gelingt). Diese Phase ist mit dem Gefühl der Orientierungslosigkeit verbunden, aber sie ist notwendig. Ein Tipp lautet: Lassen Sie sich Zeit und haben Sie Geduld mit sich selbst. In dieser Phase arbeiten Menschen an ihren Erinnerungen, entwerfen Pläne und oft an mehreren Szenarien gleichzeitig, das kostet Zeit. Und wie oben beschrieben: Es muss nicht immer dazu führen, den alten Job aufzugeben. 

Was sonst noch hilft: Kontakte nutzen, zum Beispiel die Beziehung zu Menschen wieder beleben, die einem mal nahestanden, aber zu denen man jahrelang keine Verbindung mehr hatte. Laut einer Studie sind deren Tipps und Hinweise wertvoller als die von aktuellen Bekannten. Und sprechen Sie über Ihre Pläne – einsames Grübeln funktioniert nicht, Selbstreflexion ist viel effektiver, wenn wir uns mit anderen austauschen. Mehr noch: Wenn man sich erst mal öffentlich zu einem Wandel bekannt hat, hilft es, diesen zu beschleunigen.

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