7. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Tanz mit dem Durchlauferhitzer

KRITIK: Kann man in agilen Organisationen Karriere machen? Und wenn ja, wie? Zu dieser Fragestellung gibt es noch kaum wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse. Zeit, sich die Sache mal genauer anzuschauen.

Früher bedeutete Karriere Aufstieg. Mehr Befugnisse, mehr Unterstellte, mehr Status, mehr Geld. Seit zwei bis drei Dekaden ändert sich das. Es ist nicht nötig und auch nicht sinnvoll, aus dem besten Sachbearbeiter eine Führungskraft zu machen. Vor allem nicht, wenn diese nicht führen kann und will. Eine Fachkarriere ist doch auch etwas Feines. Oder man definiert Karriere lateral – vor allem vor dem Hintergrund der Zunahme von Projektmanagement.


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Doch nun dreht sich das Rad noch schneller und etliche Unternehmen arbeiten nach agilen Regeln. Da stellt sich die Karrierefrage dringlicher, weil sich die Hierarchie- und Führungsfrage radikaler stellt (Selbstführung von Teams). Was die Autorinnen („Aufstieg war gestern“. Karriere in postbürokratischen Organisationen) bedauerlicherweise nicht weiter ergründen. Das hätte den Beitrag auf ein deutlich höheres Level bringen können.

Das alte Karrierethema inszeniert sich heute zudem auf einer anderen Bühne: Der Arbeitsmarkt stöhnt unterm Fachkräftemangel. Der demografische Wandel wurde verschlafen und das Thema Migration ideologisch blockiert. Jetzt ist der Schlamassel offensichtlich. Und die neue Konstellation hat den Markt drehen lassen – vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt. Mitarbeitende stellen Ansprüche (z.B. Homeoffice) und sind wechselbereit. Die ungewollte Fluktuation wird zum Damoklesschwert. Innerbetrieblich wandert daher das Thema Bindung nach ganz oben auf die Agenda. Lasst uns nett zu den Mitarbeitenden sein!

Postbürokratisch

Die Autorinnen haben dieses Szenario – wie gesagt – weniger ausgeleuchtet. Trotzdem warten sie mit interessanten Einsichten auf. Sie fragten sich, „welches Karriereverständnis postbürokratischen Organisationen zu Grunde liegt und welche Alternativen diese Organisationen zur klassischen Aufstiegskarriere bieten“. Auch hier müsste man gleich wieder reingrätschen und fragen, wieso „postbürokratisch“? Dieser, Stefan Kühl entliehene Begriff ist zumindest missverständlich. Denn nicht nur die soziologische, sondern auch die psychologische Organisationslehre behandeln mehrere Organisationsmodelle. Bürokratie ist darunter nur ein Modell – aber es eignet sich natürlich super als schwarze Hintergrundfolie für die eigene Argumentation.

Die Forscherinnen, drei „ausgewachsene“ Professorinnen, führten Interviews mit 33 Expert:innen (Geschäftsführung, HR, interne oder externe Organisationsentwickler:innen) aus ihren eigenen Netzwerken. „Als Ergebnis zeigt sich, dass die Aufstiegskarriere in postbürokratischen Organisationen durch das Angebot einer individuellen ganzheitlichen Weiterentwicklung für Mitarbeitende ersetzt wird. Unternehmen bieten einen Entwicklungsrahmen mit vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten und unterstützenden Funktionen. Die Verantwortung für die Wahrnehmung der Angebote liegt bei den Mitarbeitenden.“

Karriereverständnis

Karriere, so die Autorinnen, meint nicht mehr einen „Aufstieg mit vordefinierten Laufbahnen“, sondern eine individuelle, kontinuierliche, ganzheitliche Weiterentwicklung. Organisationen stellen dafür einen entsprechenden Entwicklungsrahmen bereit. Das ist kalter Kaffee. „Die tatsächliche Gestaltung der eigenen Karriere liegt hierbei nicht in der Verantwortung der Organisation, sondern in der jedes einzelnen Mitarbeitenden.“ Auch das ist nicht neu und die Ambivalenz dieses Ansatzes, wurde von uns schon öfter herausgestellt (Nürnberger Trichter – reloaded). Die Befragten der Forscherinnen scheinen hier aber auch Nachteile zu sehen, Stichwort: Überforderung. – Tja …

Sichtbarkeit

Status wird klassischerweise sichtbar gemacht, markiert: Job-Titel, Dienstwagen und andere Privilegien. All das wird in agilen Organisationen relativiert oder abgeschafft. Das Individuum spürt zwar seine Wirksamkeit und Verantwortung, es wird auch gezielt als Experte angesprochen und involviert, aber die Rolle ist eher implizit und unscharf. Das ist tendenziell problematisch, wie schon von anderer Seite angemerkt wurde (Ver-Führung). Und dies fällt auch den Autorinnen auf: „Interne Sichtbarkeit entsteht in kleineren Unternehmen weitgehend von allein. In Unternehmen mit hunderten und mehr Mitarbeitenden muss Sichtbarkeit explizit durch Strukturelemente unterstützt werden, da nicht mehr jeder jeden kennt.“ Problematisch ist die „Nacktheit“ auch für die Kommunikation mit der Kundschaft. Teilweise denken sich die Befragten dann etwas aus, denn das Kind braucht schließlich einen Namen. Solches klingt nach second best.

Gestaltung

Wie nun genau gestalten agile Organisationen das Thema Karriere? Oder, so frage ich mich, müsste man die Frage nicht viel weiterfassen? Ist die Perspektive auf Karriere nicht zu eng, zu sehr aufs Individuum zentriert? Schließlich braucht es organisationale Anschlussfähigkeit. Dann ginge es auch um strategische Personal- und Organisationsentwicklung, um Führung und Zusammenarbeit sowie Kulturentwicklung.

Doch sichtbar wird zunächst eine Leerstelle, genannt Freiraum: „Die Unternehmen lassen ihnen die Freiheit und Wahlmöglichkeit, ob, wann und in welchem Umfang sie Entwicklungsangebote in Anspruch nehmen.“ Doch allzu puristisch und laissez-faire scheinen die Unternehmen nicht zu sein. Sie geben den Mitarbeitenden immerhin „Orientierungshilfen“ an die Hand – „in Form von Pat:innen, Mentor:innen, Coaches, People Leads oder Teamkolleg:innen, die die Mitarbeitenden als ‚Lernbegleiter‘ losgelöst von disziplinarischer Verantwortung unterstützen.“ Welche Kompetenzen diese „Lernbegleiter“ besitzen und ob es nicht doch einen Masterplan als Hidden Agenda gibt, wird jedoch nicht berichtet.

Hinzukommen „Zeit und Budget“ sowie „Möglichkeiten, eigene Projekte und Ideen umzusetzen“. Wenn das Strategie sein soll, wäre das ein Vabanque-Spiel: Mal schauen, was den Mitarbeitenden so einfällt und in welche Richtung es sie zieht. Die Befragten nennen es „eine eigenverantwortliche Lernkultur“. Klingt nach Bindung (Commitment) stärken (s.o.). Ob das Investoren auch so prickelnd finden?

Und konkret?

Als konkrete Gestaltungselemente nennen die Autorinnen „a) maßgeschneidertes Onboarding, b) formelle und informelle Feedbackformate, c) umfangreiches Weiterbildungsangebot, d) kollegiale Lernangebote und Innovationsformate und e) fachliche Vernetzungsangebote und -formate. Zusätzlich konnte die f) Gestaltung der Vergütung als wesentliche Rahmenbedingung identifiziert werden.“ Offensichtlich – und erfreulicherweise – sieht man in agilen Organisationen doch nicht nur pure Selbstorganisation am Werke. Was aber aufscheint ist, eine – schon andernorts wahrgenommene und als kritisch bezeichnete – Tendenz zur Politisierung in diesen agilen Organisationen. Da wird sich nämlich auch mal gerne um „Zeit und Budget“ auf Teamebene gestritten.

Nachdenklich macht dann der letzte Gestaltungsaspekt: das Thema Vergütung. Eigentlich hätte dieses Thema schon unter „Sichtbarkeit“ Erwähnung finden sollen. Die Klassiker individuelle Leistungsbewertung und Vergütung sind out. „Eine Beteiligung der Mitarbeitenden am Unternehmenserfolg wird jedoch häufig als ein Element des Gehaltsystems genutzt.“ Zudem dominiert eine marktgerechte Vergütung. Beim Thema Vergütung – wenn der Frosch das Wasser lässt – scheinen mir viele Unternehmen doch eher ins Schwimmen zu geraten – oder noch recht klassisch zu denken. Erkennbar wird das an der Frage, wer denn zuständig für die Vergütung sei. Es werden drei Varianten berichtet, von denen nur eine, nämlich die letzte, agil ist: Geschäftsführung, „Compensation Leads“ oder das Team.

Beispiele für letzteres haben wir schon gesehen (Agilität bei der Arbeiterwohlfahrt). Aber meines Erachtens ebenfalls solche für das Thema Schwimmen (Was ist neu an „New Pay“?). Jedenfalls finde ich die von den Autorinnen im Diskussionskapitel eingeführte Schlussfolgerung doch etwas gewagt, um nicht zu sagen euphemistisch: Sie präsentieren als „des Pudels Kern“ der Agilität: „a) intrinsisch motivierte Mitarbeitende, b) Offenheit für Veränderung und dadurch Flexibilität und Geschwindigkeit und c) die Verankerung von organisationalem Lernen.“

Diese Erzählung kennen wir seit der Einführung von Gruppenarbeit in Unternehmen in den 1990er-Jahren. Was aber, wenn die Kehrseite der Medaille Überforderung, Burn-out und Kompetenzverlust hieße? – Soweit denken die Autorinnen und die von ihnen befragten Expert:innen offensichtlich (noch) nicht. Vielleicht sollten die Forscherinnen einmal die andere Seite, die Mitarbeiterinnen in den agilen Unternehmen, befragen. Möglicherweise bekämen sie dann andere Antworten …

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Ein Gedanke zu “Tanz mit dem Durchlauferhitzer

  1. Organisation zeichnen sich durch Prozesse und Verantwortlichkeiten aus. Es, gibt in jedem Unternehmen wichtige und weniger wichtige Prozesse und wichtige und weniger wichtige Verantwortlichkeiten. Aus diesen Prozessen- und Verantwortungen ergeben sich Abstufungen der Wichtigkeit: Die Hierarchien. Jeder, der ein Hierarchiestufe erreichen will ,will Karriere im Sonne von Bedeutung.

    Kein Organisationsmodell kann diese Notwendigkeiten und die Bedürfnisse überwinden. Es lebe der Unterschied von Kompetenzen – oder Karriere wird es immer geben.

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