KRITIK: Flache Hierarchien – damit werben inzwischen Organisationen, die im Wettkampf um Mitarbeiter bestehen wollen. Nur: Ist es überhaupt sinnvoll, Hierarchieebenen zu streichen? Denn das bringt so einige Probleme mit sich.
Zunächst einmal: Es gibt sie, die „flachen Giganten„. Es gibt aber auch jene, die es versucht haben und gescheitert sind. Und dann noch viele, die es erst gar nicht probieren und trotzdem erfolgreich sind (Hürden beim Hierarchieabbau). Ein Professor für strategisches Management erklärt uns die Sache und beginnt erst einmal mit dem Grundsätzlichen.
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Menschen folgen Menschen, die wiederum anderen Menschen folgen, die wiederum usw. Das nennt man Hierarchie. Und Folgen bedeutet: Im Zweifel akzeptiert man Entscheidungen von Vorgesetzten und setzt sie um. Reduziert man die Anzahl der Ebenen, bedeutet das rein mathematisch, dass die Zahl der direkten Weisungsempfänger wächst. Was nicht unbedingt bedeutet, dass die verbleibenden Führungskräfte überlastet sind. Sie haben definitiv weniger Zeit für den einzelnen Mitarbeitenden, was wiederum zur logischen Konsequenz führt, dass diese einige Dinge nun selbst übernehmen müssen, die zuvor von ihren Vorgesetzten erledigt wurden (mir sträuben sich bei Begriffen wie „Vorgesetzten“ und „Weisungsempfängern“ automatisch die Nackenhaare …).
Und was tun Führungskräfte so den lieben langen Tag? Hier die fünf Aufgabenpakete:
- Arbeitszerlegung: Sie brechen die großen Ziele herunter, so dass sie für die Mitarbeitenden verdaulich sind.
- Arbeitszuteilung: Sie kümmern sich darum, dass die Aufgaben auf die Mitarbeitenden verteilt werden.
- Entlohnung: Sie sorgen für Anreize, damit die Mitarbeitenden diesen Aufgaben auch nachkommen.
- Information: Sie gestalten das Design der Kommunikationsstruktur (soll wohl heißen, sie sorgen dafür, dass die Mitarbeitenden die notwendigen Informationen erhalten)
- Ausnahmemanagement: Sie greifen ein bei Konflikten und unvorhergesehenen Situationen, die es auch bei allerbester Planung nun mal gibt.
Gibt es nun weniger Führungskräfte, dann müssen die Mitarbeitenden einen Teil der genannten Aufgaben selbst übernehmen, ganz einfach. Und das kann je nach Organisation sehr unterschiedlich sein, führt also bei abgeflachten Hierarchien zu unterschiedlichen Spielformen.
Die Hürden
Nun zu den Hürden. Die erste (wenn ich das richtig verstanden habe) besteht darin, dass man nicht wahllos delegieren sollte. Wenn es darum geht, innovativer zu werden und Bewerber anzulocken, dann sollte man auf allen fünf Feldern Aufgaben abgeben. Aber man darf das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. So innovativ selbstorganisierte Teams auch sein mögen – den besseren Überblick haben höhergestellte Manager, also sollten diese auch entscheiden, wann zum Beispiel die Skalierung einer Idee sinnvoll ist.
Die zweite Hürde: Nicht jeder wird es begrüßen, wenn er nun plötzlich selbst entscheiden soll. Fünf positive Reaktionen sind zu erwarten: Freude am selbstbestimmten Arbeiten, Gefühl der Kontrolle über das eigene Tätigkeitsfeld, Spaß am funktionalen Arbeitsumfeld, Zugehörigkeitsgefühl zum Kollektiv und „die Reduktion der Angst vor der Bewertung durch Vorgesetzte„. Das eine oder andere davon kann man aber auch erreichen, ohne gleich ganze Ebenen zu streichen. Denn, so die Erkenntnis: Man braucht bestimmte Persönlichkeiten, nämlich „proaktive und kontrollüberzeugte“, die Freude an der Selbstorganisation haben, damit das mit dem Hierarchieabbau klappt. In bestehenden Organisationen kann man davon nicht unbedingt ausgehen, also wird man mit Widerstand und Fluktuation rechnen müssen, so z.B. „den narzisstischen Aufstiegshungrigen“ ziehen lassen müssen.
Hürde Nr. 3 ist das bestehende Arbeitsumfeld. Auch die besten Mitarbeitenden brauchen Unterstützung bei der Selbstorganisation. Und was ist mit den Trittbrettfahrern, den versteckten Leistungsverweigerern? Hier helfen Anreizsysteme weniger als Sanktionssysteme – wie wird also „Fehlverhalten“ korrigiert? Und wenn Mitarbeitende selbst entscheiden sollen: Wie schaut es aus mit der hierfür notwendigen Information aus? Wer z.B. über Gehälter selbst entscheiden soll, der muss die Gehaltsstruktur kennen. Soll heißen: Wer Hierarchien reduziert, muss auch an den Spielregeln schrauben.
Und die Moral von der G’schicht‘
Die Erkenntnis aus all dem? Wer Hierarchie abbauen möchte, sollte es sich gut überlegen. Das passt nicht zu jeder Organisation und zu jedem Organisationsziel. Das passt auch nicht zu allen Mitarbeitenden. Und schließlich passt es auch nicht zu jedem bestehenden Arbeitsumfeld und seinen Spielregeln. Welche Überraschung. Das mag ja alles zutreffen, aber am Ende dürfte entscheidend sein, wie die verbleibenden Führungskräfte ihre Rolle verstehen. Und das dürfte die eigentliche und wirkliche Hürde beim „Abflachen von Hierarchien“ sein.