11. Dezember 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Zwei menschliche „Betriebssysteme“?

INSPIRATION: Ist das nicht schizophren? Rationalität ist im Business Trumpf. Gefühle gelten als irrational. Wenn es aber darum geht, Mitarbeiter oder Kunden zu „motivieren“, sieht das plötzlich anders aus.

Irgendetwas stimmt da nicht mit unserem Weltbild. Wir bekommen diesen Widerspruch doch scheinbar aufgelöst, wenn wir davon ausgehen, dass wir Menschen zwei „Betriebssysteme“ haben: Den klaren Verstand als Meister unserer Existenz auf der einen und die Gefühle, so etwas Archaisches, Triebhaftes, Impulsives, Unlogisches, aber auch Romantisches, Verzauberndes auf der anderen Seite. Versuchen wir in der Regel, vernünftig zu sein? Werden aber immer wieder durch unsere Gefühlswelt entweder vom Pfad der Tugend abgelenkt (wir sündigen)? Oder neigen dazu, sachliche Dinge emotional zu überhöhen – mit Zuckerguss oder Lametta?

Mr. Spock wird manchmal „schwach“

Ist das die Welt, in der wir leben (wollen)? Ist die wirkliche Wirklichkeit die eines Homo Oeconomicus? Die eines Mr. Spock – der leider manchmal „schwach“ wird? Aber Stopp! Hat nicht Daniel Kahneman im Jahr 2002 den Wirtschaftsnobelpreis dafür bekommen, dass er nachgewiesen hat, dass es den Homo Oeconomicus gar nicht gibt? Dass er bloß eine Vereinfachung der Betriebswirtschaft ist? Dass wir immer und allerorten mit gedanklichen Abkürzungen hantieren, sogenannten Heuristiken? Und dass das gut und nützlich ist, weil wir gar nicht die Zeit hätten wie ein Computer alle Optionen bis ins kleinste Detail nachzurechnen? Und trotzdem sind wir damit sehr effizient. Faszinierend …

Und noch eine Sache: Wissen wir nicht aus der Neurowissenschaft, dass der Cortex, unsere Großhirnrinde, die für rationales Denken zuständig ist, in Wirklichkeit bloß der „Pressesprecher des Limbischen Systems“ ist? Dort in unbewussten Bereichen unseres Denkens werden erfahrungs- und emotionsgetrieben blitzschnell Entscheidungen getroffen, auf die sich der arme Pressesprecher irgendeinen Reim machen muss. Die menschliche Existenz: Driven from the backseat. Faszinierend?

In Widersprüche verwickelt

Jetzt wird’s aber haarig. Sind wir hier auf eine Lebenslüge gestoßen? Vermutlich! Und eingebrockt hat uns die der französische Aufklärungsphilosoph René Descartes (1596-1650). Auf ihn geht die moderne Spaltung im Denken zurück. Die zwischen Geist und Körper. Und an dieser Stelle komme ich nun endlich zum Beitrag von Sylvia Jumpertz (Umdenken beim Fühlen), die uns die Erkenntnisse der Psychologin Lisa Feldman Barrett darlegt. Denn sie, deren Buch gerade auf Deutsch erschienen ist, räumt mit diesem Unfug auf: Descartes irrte, um mit dem Neurowissenschaftler António Damásio zu sprechen. Aber dazu später.

Feldman Barrett ging nämlich zunächst – wie auch vermutlich die meisten Zeitgenossen – davon aus, dass es universelle Emotionen gibt, die jeder Mensch hat und die auf dem Globus auf dieselbe Art und Weise ausgedrückt und verstanden werden. So hatte es der berühmte Emotionsforscher Paul Ekman postuliert. Diese werden wie auf Knopfdruck aktiviert. Doch Feldman Barrett stolperte über einige Widersprüche in der Theorie und startete eigene Forschung. Und was sie herausfand, war verblüffend: „Jede der befragten Personen verwendete Begriffe wie wütend, traurig oder ängstlich, um ihre Emotionen auszudrücken, doch war damit nicht unbedingt dasselbe gemeint.“ Schockierend! …

Das Gehirn ist nicht zum Denken da

Es gibt nur eine, allerdings radikale Konsequenz, die man aus diesen Befunden ziehen kann: Die Gefühle werden konstruiert. Das mit den zwei „Betriebssystemen“ ist Quatsch. Und daran sieht man, dass auch systemisches Denken, dass doch fundamental auf einer konstruktivistischen Erkenntnistheorie aufbaut, oftmals nur die halbe Strecke geht: Wahrnehmung, Erinnerung – bei all diesem haben wir uns in zwischen angewöhnt, konstruktivistisch, also relativ und individuell zu argumentieren. Wir verweisen auf optische Täuschungen oder auf falsche Erinnerungen (Psychologie der Zeugenaussage). Dass es auch akustische Täuschungen gibt, wissen dann schon weniger Kollegen. Und jetzt auch noch Emotionen. Das ist verdammt starker Tobak!

Aber wenn Emotionen nicht angeborene Schaltknöpfe sind, dann ist auch das nur logisch: Emotionen „dienen der Wissenschaftlerin zufolge dazu, eine spezifischere Vorhersage (bzw. Hypothese) darauf anzustellen, was die Informationen, die aus unserem Körper kommen, zusammengenommen mit den Informationen, die von außen kommen, wohl bedeuten.“ Denn das Gehirn ist nicht primär zum Denken da. Sein Job ist, „unser ‚Körperbudget‘ im Lot zu halten“. All die anderen, weltbewegenden Dinge, mit denen wir uns so gerne beschäftigen, sind sekundär. Es geht primär darum, dass wir uns wohl in unserer Haut fühlen. Und deshalb können wir uns auch emotional irren. Die Wissenschaftlerin bringt ein schönes Beispiel dafür, so Autorin Jumpertz. Sie missdeutete ein Flattern im Bauch während eines Dates als Anzeichen von Verliebtheit. Dabei war es bloß der Vorbote eines Magen-Darm-Infekts. – Ouups!

Emotionen sind Simulationen

Wofür genau sind nun Emotionen da, wenn wir sie konstruieren? Sie orientieren uns, so wie andere kognitive Gehirnleistungen auch. Es werden Konzepte aktiviert: Apfel, Gefahr, Weihnachtsmann. Diese Konzepte sind Muster, die mit einem semantischen Netzwerk (Sprache!) verbunden sind. Es werden Informationen und Bewertungen aus dem Gedächtnis aktiviert. So können wir schnell reagieren und uns auf die Umwelt einstellen. „Das Gehirn reagiert nicht auf die Welt. Es macht Prognosen und erschafft Ihre Wahrnehmung der Welt.“

Feldman Barretts Theorie stellt unser altes Denken auf den Kopf mit ihrer „Theorie der konstruierten Emotionen“. Und das hat weitere Konsequenzen. Denn es geht nicht nur um uns allein. Wir sind doch Teil eines sozialen und kulturellen Umfelds. Unsere Emotionen sind „auch Co-Konstruktionen“. Denken wir das weiter, geraten gravierende Konsequenzen in den Blick: Wie (vor-)schnell attribuieren wir Emotionen in eine bestimmte Richtung? Welche Worte wählen wir, wenn wir Wahrnehmungen bewerten? Sind wir eher freundlich und ressourcenorientiert eingestellt oder eher missmutig und abwertend? Wir haben also eine hohe kommunikative Verantwortung. Und damit auch immer eine Wahl. „Emotionale Intelligenz besteht der Forscherin zufolge darin, das Gehirn dazu zu bringen, in einer bestimmten Situation ‚die nützlichste Instanz der nützlichsten Emotion zu konstruieren‘.“

Homo sapiens emotionalis

Ist das nicht eine gute Botschaft? Und kennen wir sie nicht auch längst? Beispielsweise aus der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg. Mir wird an dieser Stelle allerdings noch etwas anderes wieder klar: Wie sehr wir immer noch Kinder der sogenannten kognitiven Wende in der Psychologie sind. Dieser Paradigmenwechsel in den 1970er-Jahren sorgte dafür, dass wir endlich anerkennen mussten, dass das behavioristische Reiz-Reaktions-Paradigma viel zu kurz gesprungen ist. Wahrnehmung, Denken, Motivation, solche kognitiven Prozesse brachten nun (als Organismusvariable) Licht ins Dunkel der Black Box zwischen Reiz und Reaktion. Das war ein Fortschritt.

Aber das Thema Emotionen blieb blass in diesem Kontext. Die emotionale Wende fand erst Mitte der 1990er-Jahre statt. „Ich fühle, also bin ich“, resümierte der Neurowissenschaftler António Damásio und konterkarierte damit das Descartes’sche „Ich denke, also bin ich“. Damásios Überzeugung ist, Geist und Materie sind untrennbar miteinander verbunden (Embodiment). Auf der Basis seiner Theorie der somatischen Marker entwickelten Maja Storch und Frank Krause das Zürcher Ressourcen Modell (Ganzheitliches Selbstmanagement). Zuletzt sind Neurowissenschaften und Coaching auch deutlich näher zusammengerückt. Ich verweise gerne auf die Bücher von Gerhard Roth und Alica Ryba (Neurowissenschaftliche Fundierung von Coaching).

Da wäre aber noch ein bahnbrechender Forscher zu nennen: Luc Ciompi. Der Berner Psychiater veröffentlichte seine „Affektlogik“ schon im Jahr 1997. Also 20 Jahre vor Feldman Barrett. Ciompi legte das Zusammenspiel von Fühlen, Denken und Verhalten als Basistheorie dar – und zwar in seiner doppelten Bedeutung als Logik der Affekte sowie Affektivität der Logik. Das führt zu einem tiefgehend veränderten Menschenbild im Sinn eines „homo sapiens emotionalis“. Eine Grundthese Ciompis lautet: Gleichzeitig erlebte Emotionen, Kognitionen und Verhaltensweisen verbinden sich im Gedächtnis zu integrierten, situationsabhängigen Fühl-Denk-Verhaltensprorammen (FDV-Programmen), die alles künftige Verhalten in ähnlichen Situationen beeinflussen. Sie sind die grundlegenden „Bausteine der Psyche“. Sie entsprechen typischen Systemen im systemtheoretischen Sinn, deren Gleichgewicht ständig durch positive oder negative Feedbacks aus der Umgebung stabilisiert oder gestört wird.

Dieses Denken hat sich leider bislang noch nicht weitreichend herumgesprochen, geschweige denn etabliert. Wiewohl es im systemtheoretischen Kontext Einzug gehalten hat. Jürgen Kriz hat das in seinem Buch (Ganzheitliche Psychologie) dargelegt. Vielleicht, und das wünsche ich mir natürlich sehr, kann das aktuelle Buch von Feldman Barrett, auch protegiert durch den Beitrag von Autorin Sylvia Jumpertz, dazu beitragen, dass diese Gedanken populärer werden. Das könnte – im Sinne einer emotionalen Intelligenz – dazu beitragen, dass unser gesellschaftlicher Umgang miteinander friedvoller würde.

Teile diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert