24. Oktober 2025

Management auf den Punkt gebracht!

Stiller See mit einzelnem Baum

Allein vor dem leeren Blatt

INSPIRATION: Das sind Situationen im Coaching, in denen der Puls von Coach-Novizen in die Höhe schnellt: Plötzlich Stille! Da muss man doch schnell eine Frage platzieren, ein Tool parat haben. Sonst … könnte das unprofessionell wirken.

Nichts muss man … außer die Stille wahrnehmen, sie auskosten, vielleicht sogar genießen (Enjoy the Silence), so die Autorin (Stille in der dyadischen Beratung). Natürlich ist es verständlich, dass den Anfänger der Horror Vacui überfallen mag. Die Autorin nennt das „Zwischenraum im Beratungsprozess“. Ich würde das so nicht benennen. Die Stille ist für mich ein Teil des Coachings. Sie eröffnet einen Möglichkeitsraum (Robert Musil), wie die Autorin etwas später selber schreibt.


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Die qualitative Studie knüpft an bestehende Arbeiten zu schwierigen Situationen im Coaching an (Vom Guten im Schlechten – und umgekehrt). Die Autorin hat mit 20 Coaches Interviews geführt und diese inhaltsanalytisch ausgewertet. Und siehe da, die Stille passiert nicht bloß als „Unfall“, sie wird auch gezielt vom Coach induziert: Als Sprungbrett in die Achtsamkeit für den Klienten (Achtsames Innehalten).

Sound of Silence

Man kann das Thema Stille auf verschiedene Weisen theoretisch betrachten. Beispielsweise psychoanalytisch als Angstphänomen. Schnell ist da der nächste Schritt in die Gruppendynamik gemacht. Oder kognitionspsychologisch als Komplexitätsregulation. Womit wir – mit Dietrich Dörner – in einem spannenden Feld gelandet wären: Management von Ungewissheit. Heutzutage eine ungeheuer wichtige Kompetenz. An der aber viele scheitern, weil sie das mit Komplexitätsreduktion verwechseln (Don’t look up!).

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Von Musil über von Foerster, Kabat-Zinn bis Scharmer – den Dalai Lama habe ich jetzt einmal rausgelassen – erstreckt sich die Reihe derer, die in der Stille die Chance zur Emergenz sehen (Sound of Silence). Womit man nun nahtlos zum systemischen Denken kommen könnte.

Reaktionsmuster

Die Autorin arbeitet aus ihrem Interviewmaterial zwei Muster heraus:

  1. Angst: Unmittelbare Stressreaktion, dysfunktionales Gedankenkreisen, Rat- und Orientierungslosigkeit, das Erleben von Leistungsdruck, Unsicherheit, Selbstzweifel und Insuffizienz.
  2. Ambiguitätstoleranz: Die Wahrnehmung erweitert sich, Offenheit entsteht, das Nicht-Wissen wird als interessant und erforschenswert erlebt. Ein dichter Moment der Transition wird erlebt. „Eigentlich sind diese leeren, stillen Räume das, wo das Gold ist. Da passiert wirklich das, was spannend ist. Rein, rein in die Leere, ins Nichts!“

Offenbar erleben die Mehrzahl der Interviewten eher das erste Muster: Angst. Doch wofür gibt es Coaching-Weiterbildungen, Mentoren und gute Bücher? Ohne gediegene und gut verarbeitete Selbsterfahrung wird das schwer mit dem Coaching. Die Meister:innen fallen eben nicht vom Himmel. Daher plädiert die Autorin auch für eine tiefergelegte Coach-Ausbildung: „Gerade dort, wo Orientierung entgleitet und Kontrollimpulse übermächtig werden, zeigt sich: Wer präsent bleibt, resonanzfähig ist und dem Nicht-Wissen Raum geben kann, verfügt über eine Schlüsselkompetenz professioneller Beratung.“

Kompetenzentwicklung

Was liegt da näher, als körperorientierte und emotionsfokussierte Verfahren in der Ausbildung zu implementieren? Die Autorin nennt explizit Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR). Was sicher in die richtige Richtung zeigt. Doch sind wir inzwischen doch deutlich weiter, Stichworte: Embodiment (Embodiment: Ganz von dieser Welt), Neurowissenschaftliche Fundierung (Ich will so bleiben wie ich bin) sowie Emotionen (Embodiment und Emotionen). Ob da Coach-Ausbilder und -Azubis nicht gleich schon wieder in den Angstmodus verfallen? Nach dem Motto: Wir machen doch keine Psychotherapie …?

Tja, da trennt sich dann Spreu von Weizen. Ich würde mal so sagen: Will man im Premiumsegment unterwegs sein oder 08/15 anbieten? Und ist das Massenmarktsegment nicht vermutlich längst an ChatGPT verloren gegangen?

Stille ist eine Ressource

Andererseits wäre es vielleicht angebracht, in den Ambiguitätstoleranzmodus zu kommen und den Blick zu weiten auf das Thema Gesundheit. Die „Freiburger Stille-Studien“ erforschen das Thema seit 15 Jahren. Stille ist kein akustisches „Nebenprodukt“ innerhalb der Musik, so die Forscher, sondern ein eigenständiges akustisches Phänomen. Im Zentrum ihrer Studien steht die Frage, wie Stille wahrgenommen wird – auch im Zusammenhang mit Gesundheit und Wohlbefinden. Ein Ergebnis: „Bereits sechseinhalb Minuten Stille können die Stimmung verbessern, Gedankenkreisen reduzieren, Entspannung fördern und die Zeitwahrnehmung verändern.“

Stille ist eine Ressource. Und das erinnert mich daran, wie Steve De Shazer einmal die Rolle von Pausen für die lösungsfokussierte Therapie erklärte (Kurzzeittherapie – Von Problemen zu Lösungen).

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Thomas Webers

Dipl.-Psych., Dipl.-Theol., Fachpsychologe ABO-Psychologie (DGPs/BDP), Lehrbeauftragter der Hochschule Fresenius (Köln), Business-Coach, Publizist

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