INSPIRATION: Unser klassisches, populäres Denken trennt Verstand und Gefühl. Viele behaupten sogar, der Verstand müsse die Gefühle kontrollieren. Und dass die „reine Vernunft“ situationsunabhängig operiere.
Das führt dann zu skurril-extremen Ansichten. Manche meinen, Kognition, also „Denken“, sei nichts anderes als die Verarbeitung von Information (Computer-Metapher). Andere sind der Meinung, Kognition sei bloß ein Gehirnprozess (Neuronen-Metapher).
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All das geht an der Sache vorbei, so die Autor:innen (Embodiment und Wirkfaktoren in Therapie, Beratung und Coaching). Es gibt eine Wechselwirkung und Bidirektionalität zwischen Geist und Körper. Psychische Prozesse sind verkörperte Prozesse. Die Leiblichkeit und die Einbindung in reale und soziale Kontexte bestimmen unser Denken ebenfalls maßgeblich. Diese Sichtweise wird Embodiment des Geistes genannt.
4E Cognition
Die Autoren fassen das neue Verständnis unter der Formel „4E Cognition“ zusammen: Kognition
- ist verkörpert (embodied). Sie entsteht aus körperlichen Prozessen. Und beide stehen in einem wechselseitigen Zusammenhang.
- basiert zudem auf sensorisch motorischen Schleifen (enactive). Informationen werden nicht passiv aufgenommen. Menschen interagieren dynamisch mit ihrer Umwelt. Wahrnehmung und Handeln gehen Hand in Hand, bilden eine untrennbare Einheit.
- ist auch situiert (embedded). Unser Denken ist also abhängig vom Kontext und aktuellen Situationen – und schwebt nicht über allen Wassern.
- ist schließlich erweitert (extended). Wir denken unter Zuhilfenahme unserer Umwelt. Durch den Werkzeuggebrauch (vom Schreibstift bis zum Computer) können Elemente der Umwelt Teil des kognitiven Systems werden.
Für das populäre Denken ist diese Sichtweise mehr als verstörend. Vermutlich sogar eine Zumutung. Andere sehen darin eine Befreiung, eine Revolution sogar. Denn eine solche Sichtweise hat gravierende Konsequenzen. Beispielsweise für die Psychotherapie: Wir sollten dann nicht mehr von „Geisteskrankheiten“ sprechen. Solche Störungen besitzen demnach auch immer eine körperliche Komponente. Und eine soziale.
Synchronie
Die Autor:innen erläutern dies am Thema Kommunikation. Diese als bloßen Informationsaustausch zwischen einem Sender und einem Empfänger zu verstehen, greife völlig zu kurz. Das wissen wir selbstverständlich längst seit dem bahnbrechenden Buch von Watzlawick und Kollegen „Menschliche Kommunikation“ Ende der 1960er-Jahre und dem darauf aufbauenden Vier-Ohren-Modell von Schulz von Thun.
Das Autorenduo geht einen Schritt weiter und beschreibt Kommunikation als auf psychischer und körperlicher Synchronisation basierend. Das meint nicht nur eine motorische Kopplung und Koordination von Körperbewegungen (Gestik und Körperhaltung) – im Trainer-Latein „spiegeln“ genannt. Es lässt sich auch physiologisch beobachten: gemeinsame Pulsfrequenz, Atmung und Hautleitfähigkeit.
Coaching
Dies ist nun auch für die Interaktion von Klienten und Coach relevant. Wenn der Coach als der ruhende Pol des Prozesses angesehen werden kann, weil er sich lange Erholungszeiten gönnt, sich gegen übermäßige Beeinflussung von außen abschirmt und eine achtsame und abstinente Haltung einnimmt, kann dies eine stabile Dynamik im Coaching befördern – und auf die Klientin abfärben.
Auf der Basis von Embodiment wird auch verständlich, dass Reden allein nicht reicht. Das wäre sehr einseitig. Es muss ebenfalls der Körper in den Blick kommen. Körperorientierte Techniken sind in den humanistischen und systemischen Schulen lange bekannt.
Der Körper ist eine wichtige Ressource im Coaching, wie uns das Zürcher Ressourcen Modell (ZRM®) seit vielen Jahren lehrt (Ganzheitliches Selbstmanagement). Erstautor Wolfgang Tschacher hat etliche Forschung mit Maja Storch, der Mitbegründerin des ZRM®, betrieben. Zudem sind beide Mitautoren des maßgeblichen Buchs zum Thema Embodiment (Die Rückkehr der Gefühle).
Und der Körper lernt in Bewegung. Das meint: Die Sitzung zum Spaziergang auszuweiten (Wegbegleiter). Und körperliche Bewegung – bis hin zu Yoga, Tai-Chi-Chuan oder Qi-Gong – nutzen. Ressourcenorientierung ist ein Stichwort, das auch der Lösungsorientierung nach Steve de Shazer und Insoo Kim Berg zugrunde liegt. „Der lösungsorientierte Coach arbeitet langsam, er will nicht zu schnell verstehen – und gibt stattdessen dem Klienten Zeit und Raum, seine Gedanken in Ruhe zu sortieren und sein Ziel selbst zu entwickeln.“
Soziales Lernen
Mit ihrem Beitrag erläutern die Autor:innen eine grundsätzlich neue Weltsicht und deren Konsequenzen für soziales Lernen. Denn darum gehe es in all den verschiedenen Praktiken, also Psychotherapie, Beratung, Coaching und Lehr-Lern-Prozessen.
Das Konzept der „4E Cognition“ wird aktuell um ein fünftes „E“ ergänzt (Systemtheorie und Embodiment). Es steht für Emotion. Kognitionen sind auch immer affektiv. Jedem kognitiven Akt des Handelns oder Wahrnehmens liegt immer eine bestimmte affektive Tönung zugrunde. Sie bestimmt den Weltbezug maßgeblich, wie auch andere Autoren unterstreichen (4 Irrtümer über nonverbale Kommunikation).