KRITIK: Das klingt nach einem Dilemma – die Verfahren zur Auswahl von neuen Mitarbeitern sollen schneller, weniger aufwändig und vor allem kostengünstiger werden, gleichzeitig aber auch mehr Objektivität gewährleisten und zuverlässigere Ergebnisse erzielen. Schneller und besser also – da kommt die künstliche Intelligenz (KI) gerade recht. Klappt das?
In der Wirtschaftspsychologie aktuell diskutierten drei Experten den Einsatz von KI. Tatsächlich nimmt die Nutzung neuer Verfahren in der Personaldiagnostik zu, die Frage ist nur, ob damit auch die Qualität steigt. Wenn man zum Beispiel dem Algorithmus so „trainiert“, dass er genau das abbildet, was Personaler in den letzten 20 Jahren als wichtig erachtet haben, dann wird er nur „alte Vorurteile in großem Stil replizieren“ (Personalauswahl – digital, virtuell, professionell). Das könnte zwar die Kosten und den Zeitaufwand reduzieren, macht aber das Ergebnis nicht besser.
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Neue digitale Formate
Schauen wir also mal, welche Alternativen es gibt. Da schlägt ein Anbieter neuer Verfahren vor, Persönlichkeitstests so zu gestalten (Personaldiagnostik neu denken), dass sozial erwünschte Antworten nicht mehr so leicht möglich sind, also das Verfahren „fälschungssicherer“ wird. Die Idee: „Rapid Response“. Schwierig mit Papier und Bleistift, aber am Rechner geht das. Man bietet den Probanden die einzelnen Items nur kurz zur Ansicht. Dann müssen sie sich entscheiden, welches am besten zu ihnen passt. Lange Bedenkzeiten und damit sozial erwünschtes Verhalten entfallen. Die Tests sollen bald zur Verfügung stehen und so für „frischen Wind in der Persönlichkeitsdiagnostik“ sorgen.
Der nächste Vorschlag: Statt der üblichen Interviews vor Ort gehen immer mehr Unternehmen – seit Corona erst recht – dazu über, Videointerviews durchzuführen. Weil dabei aber wie auch im „echten“ Interview allein durch die äußere Erscheinung und die Art der Selbstpräsentation schon eine Reihe von Beurteilungsfehlern auftreten, wird auf beiden Seiten auf das Bild verzichtet, sowohl Recruiter als auch die Kandidaten werden durch einen Avatar vertreten. Der Recruiter stellt seine Fragen, der Bewerber antwortet, die Antworten werden automatisch verschriftet. Dann können die Antworten mit vordefinierten Skalen bewertet und damit objektiviert werden.
Spaß oder Spielchen
Idee Nr. 3: Statt ihn mit einem klassischen Intelligenztest zu konfrontieren wird der Bewerber mit zwei Controllern an der Hand ausgestattet und bearbeitet Aufgaben in einer virtuellen Welt. Das macht viel mehr Spaß und erlaubt noch ganz andere Erkenntnisse zum räumlichen Vorstellungsvermögen, zur Reaktionszeit, Gedächtnis und Verarbeitungskapazität.
Ich lege mal meine Skepsis beiseite und gestehe, dass mich das eine oder andere schon beeindruckt. Wenn die Verschriftlichung von Antworten zum Beispiel Stottern korrigiert oder der Algorithmus Rechtschreibfehler ausmerzt, um hier nicht schon früh Vorurteile auszulösen, dann kann ich mir schon vorstellen, dass die Technik hilft, einige Fehlerquellen erst mal auszuschalten. So wie ein fehlendes Passbild im Anschreiben verhindert, dass eine ungünstige Aufnahme oder hohe Attraktivität zu falschen Einschätzungen führt.
Ob durch die Algorithmen tatsächlich der Auswahlprozess schneller und kostengünstiger wird, wage ich zu bezweifeln. Die Unternehmen werden auf neue Tools fliegen, damit wird vermutlich viel Geld verdient. Aber um Menschen kennen zu lernen und die letztliche Passung zu gewährleisten, braucht es Zeit. Und weil der Arbeitsmarkt immer mehr in Richtung Bewerbermarkt geht, die fähigen Leute sich die Unternehmen aussuchen können, werden sie vielleicht die Spielchen mitmachen, aber am Ende dorthin gehen, wo ihnen interessante Aufgaben und ein inspirierendes Umfeld geboten wird. Ich würde Unternehmen empfehlen, in diesen Feldern mehr Hirnschmalz zu investieren als in Avatare beim Videointerview.