KRITIK: Die Idee, man könne mit monetären Anreizen die Leistung fördern, lebt, vor allem im Vertrieb. Aber auch dessen Aufgabe hat sich dramatisch verändert. Er muss immer häufiger mehr beraten als verkaufen und maßgeschneiderte Lösungen bieten. Was bedeutet das für das Entgeltsystem?
Dass man eben nicht mehr mit einfachen Kennzahlen „steuern“ kann. Aber konnte man das jemals? Stellen Sie sich vor, Sie bieten Ihrem Sohn an, für das Pflücken von Äpfeln auf Ihrer Obstwiese 15 Euro pro Stunde zu bezahlen. Was wird er tun? Vermutlich Äpfel pflücken, und zwar so lange, bis alle Äpfel in den Kisten sind. Das dauert sieben Stunden. Im nächsten Jahr machen Sie eine Studie. Sie bieten ihm einen Sonderbonus an, wenn er die Äpfel in sechs Stunden gepflückt hat. Und für jede Minute, die er weniger braucht, noch mal eine Prämie. Sie stellen erfreut fest, dass sich die Anreize auf die Leistung ausgewirkt haben und schließen daraus, dass Anreize tatsächlich die Leistung steigern. Dummerweise haben die meisten Äpfel Druckstellen, und Ihre Abnehmer beschweren sich. Was tun Sie? Vereinbaren beim nächsten mal eine Belohnung, die „explizit an gewünschtes Verhalten“ gekoppelt ist.
Anzeige:
Die Arbeitswelt braucht agile Coachs, um Selbstorganisation, Innovation und neues Rollenverständnis zu implementieren. Die Neuerscheinung „Agiler Coach: Skills und Tools“ liefert für jeden agilen Coach eine beeindruckende Bandbreite an Grundlagen, Methoden und Werkzeugen für die Team- und Mitarbeiterentwicklung im agilen Arbeitsalltag. Zum Buch...
Die krude Logik der Anreizsysteme
Mag sein, dass Ihr Sohn im dritten Jahr schnell UND sorgfältig arbeitet, aber die positive Wirkung der Leistungsanreize hat einen Preis: Die erhöhte „Belastung und die reduzierte Gesundheit können als versteckte Kosten der Leistung bezeichnet werden.“ Keine Wirkung ohne Nebenwirkung, so ist das nun mal. Studien zeigen, dass die gesundheitsschädliche Folgen wie Stress und emotionale Erschöpfung ab einem variablen Anteil von 30 Prozent auftreten.
In dem Beitrag in der Personalführung (Innovative Anreizsysteme) werden eine Reihe von Studien zitiert, die alle die Wirkung von Geld auf den Vertriebserfolg belegen. Wie eben bei den Äpfeln. Allerdings gibt es jede Menge Einschränkungen. Bei heterogenen Gruppen sind die Effekte sehr unterschiedlich, bei langen Verkaufszyklen lassen sich die Ergebnisse nur schwer den Aktivitäten zuordnen, kürzere Zielfrequenz kann dazu führen, dass sich die Vertriebler auf schnell verkäufliche Produkte konzentrieren usw. Wie man es auch macht: Es gibt Nebenwirkungen.
Die Lösung? Einige verzichten auf erfolgsabhängige Zahlungen, andere bieten diese nur noch für Teams an. Wieder andere binden die Mitarbeiter in die Entwicklung der Systeme ein, ein Ansatz, der hier nahegelegt wird. Aber auch dann, so viel sei vorhergesagt, wird man feststellen, dass es nie gelingen wird, das EINE, wahre Modell zu gestalten. Berater von Kienbaum empfehlen, in Zeiten der Agilität und Wissensarbeit anstatt Output zu belohnen, sich den Input anzuschauen. Also was hat ein Mitarbeiter dem Unternehmen zu bieten? Das nennt sich dann „Skillbased Compensation“ (New Work erfordert New Pay). Ist jetzt auch nicht so sonderlich neu. Wobei schon gleich wieder ein Problem auftaucht: Ist die gleiche Fähigkeit überall im Unternehmen auch das gleiche wert? Nach dem bekannten Motto: Gleiches Geld für gleiche Arbeit?
Irgendwie schon, nur ist eben Geld auch nicht überall gleich viel wert. Es macht einen Unterschied, ob ich in München 5.000 Euro verdiene oder in Schwerin. Also bieten sich regionale Vergütungsansätze an, wie das bei Google wohl schon praktiziert wird.
Aber: Die Rettung naht: „Predictive Sales Analytics und Machine-Learning-Ansätze ermöglichen es, den Vertriebserfolg auf individuelle Vertriebsaktivitäten herunterzubrechen,“ hat McKinsey herausgefunden. Soll heißen: Dank der Digitalisierung wird man in Zukunft den Wert jedes einzelnen Handgriffs berechnen können und für ein „aktivitätsbasiertes, variables Vergütungssystem“ nutzen. Dann können Sie in Ihr System die Größe der Äpfel, ihre Verteilung im Baum, die Wetterbedingungen, die Höhe der Leiter, den Biorhythmus Ihres Sohnes und weitere Parameter eingeben, bekommen eine ziemlich genaue Einschätzung von Zeit und Menge und können darauf basiert, berechnen, wie lange er für ordnungsgemäßes Pflücken benötigen darf.
Ein Traum, oder? Mag sein, dass Unternehmen solche Versuche starten werden, aber wie das so ist mit den Träumen – mit der Realität haben sie wenig zu tun.