INSPIRATION: Die Frage steht schon länger im Raum: Kann KI coachen? Ein konkreter Anwendungsfall wird nun im Coaching-Magazin berichtet: Im Coaching mit der Methode des Inneren Teams kommt in einer Teilgruppe KI zum Einsatz.
Dass KI coachen kann, dass dürfte inzwischen unbestritten sein (Coaching ohne Coaches). Der Grund dafür liegt – einem alten Diktum von Heinz von Foerster folgend – darin, dass der Empfänger über die Botschaft entscheidet. Wem also gefällt, was die „Plappermaschine“ ihm da offeriert, der mag sich inspiriert, erleuchtet oder was auch immer fühlen. Denn KI ist ja nicht wirklich intelligent, sondern bloß „nett“ (A Fool with a Tool).
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Autorin Stefanie Düll (ChatGPT im Coaching) geht die Sache wissenschaftlich an, und setzt gleich eine Vergleichsstudie mit 19 Teilnehmenden auf: Eine Gruppe arbeitet ohne, eine mit KI-Unterstützung.
Der Prompt
Das dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben: Die KI-Antwort ist maßgeblich von einem guten Prompting abhängig. Autorin Düll drückt der KI-Gruppe im Vorgespräch also gleich ein solches in die Hand: „Du bist ein professioneller systemischer und lösungsorientierter Coach, der mich in der heutigen Sitzung als deinen Klienten mithilfe von offenen, neutralen Fragen coacht. Deine Aufgabe ist, mich durch eine Sitzung zur Erarbeitung des Modells ‚das innere Team‘ von Schulz von Thun zu führen …“ (es folgen nach diesen 7 noch weitere 27 Zeilen).
Tja, KI ist ja nicht intelligent, könnte man einwenden. Man muss sie erstmal auf die Spur setzen. In der Folge wird sie dann ihr Gedächtnis (vermutlich die gesamte Wikipedia, alle möglichen Websites von Coaches – und solchen, die sich dafür halten) durchforsten und uns – geschwind wie der Wind – eine statistisch wahrscheinliche, also durchschnittliche Antwort präsentieren. Dabei wird meine kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept „Hilfe zur Selbsthilfe“ (Systemisches Coaching), das zum Schluss im Prompting vorkommt, vermutlich ausgeblendet – da nicht repräsentativ. Merke: KI liebt Masse und Durchschnittlichkeit wie sie sich gerne in Buzzwords inkorporiert.
Studienergebnisse
Die Autorin ist von den Ergebnissen ihrer Studie angetan, hält allerdings einen integrativen (hybriden) Ansatz für sinnvoll. Denn „die Erarbeitungszufriedenheit der Klienten (war) höher, wenn das innere Team in Zusammenarbeit mit einem Coach entwickelt wurde.“ Das mag auch daran liegen, „dass die mit ChatGPT entwickelten inneren Charaktere häufig von geringerer Tiefe waren.“ – Was meine Kritik bestätigen würde.
Interessant ist allerdings die Begründung der Autorin dafür: „Die Fragen waren oft weniger präzise, nicht ausreichend nachhakend und wurden teilweise in Bündeln gestellt. Das führte dazu, dass Klienten häufig nur einzelne Fragen beantworteten, was die Klarheit und Tiefe der erarbeiteten Charaktere beeinträchtigte.“
Das lässt natürlich ein Lächeln über mein Gesicht huschen. Der im guten Fragen ausgebildete Coach ist scheinbar doch (noch) besser. Vor allem wenn er auch hilfreiche Lösungstrancen induzieren kann, was für dieses Setting mehr als angebracht wäre.
Coaching-Spotify
Nur sollte man sich nichts vormachen: Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis man die KI so trainiert hat, dass sie hier annehmbare Ergebnisse liefert. Doch wer sich die Geschichte der Digitalisierung anschaut, nehmen wir dafür schlicht die Digitalisierung von Musik, von der analogen Vinylschallplatte zur digitalen CD-ROM, inklusive der Datenkomprimierung à la MP3, der wird mir vermutlich zustimmen. Man wird einige Zeit und eine sehr große Menge an Datenpunkten benötigen, also auch etliche Kosten produzieren. Keine Frage. Doch wenn man so weit ist, kann man skalieren. Und bei diesem Zauberwort beginnen die Augen der Geschäftsleute zu leuchten: Das Coaching-Spotify winkt …
Dagegen erscheint das von der Autorin derzeit ebenfalls noch diagnostizierte Defizit als kleineres Problem: Es „fehlte eine abschließende Reflexion, die dem Klienten erste Erkenntnisse hätte bieten können. (…) der Klient nahm keine klaren Erkenntnisse aus der Erarbeitung seines inneren Teams für seinen Alltag aus der Sitzung mit.“
Hybridlösung
Also machen wir aus der Not eine Tugend: ChatGPT fürs Grobe, für den ersten Entwurf, plus Nacharbeit und Feinschliff durch den Coach. Fertig ist die Laube. Oder um es etwas wohlwollender auszudrücken: „Das Beste aus beiden Welten.“
Und das lässt sich dann so verkaufen: Statt durchschnittlicher 105 Minuten (rein Coach-basierte Gruppe) benötigt man KI-basiert nur 90 Minuten; spart also 15 Minuten. – Wobei unklar bleibt, ob die Autorin das umfangreiche initiale Briefing mitgerechnet hat. Wenn ja, würde Coaching auf diese Weise billiger – oder man hätte mehr Coach-Zeit fürs selbe Geld. Wen erinnert das nicht an die Werbeaufkleber „Neu: 15 % mehr Inhalt!“?
Tja, da gäbe es jetzt noch das Kleingedruckte – das sich im Beitrag über eine Druckseite erstreckt. Und dazu gehören so „hässliche“ Stichworte wie Datenschutz und Datensicherheit, die den Ausblick auf die „verbotene Frucht“ trüben. Erhellender sind dann doch die Ausblicke der Autorin auf weitere Anwendungsszenarien wie „Lebenslinie“ oder „Genogrammarbeit“. Der Fantasie scheinen damit keine Grenzen gesetzt. Oder in den Worten der Autorin: „KI und Coaching zusammenzuführen, öffnet Türen zu innovativen Möglichkeiten.“
Die Zeitsparkasse
Nun, wie gesagt, ich zweifele nicht daran, dass, wie die Autorin das nennt, „zeitintensive Erarbeitungsprozesse ausgelagert werden“ können. Ob das letztlich sinnvoll ist, bleibt abzuwarten (Die Spielregeln ändern sich). Man sollte nicht vergessen, dass man einen Preis dafür bezahlt. Und damit will ich nicht auf die eingesparten 15 Minuten anspielen, sondern auf die Metapher, die Niels Van Quaquebeke (A Fool with a Tool) ins Spiel bringt: Der serienmäßige Gebrauch des Taschenrechners verringert die Kompetenz im Kopfrechnen.
Und es bleibt noch eine weitere Frage – fürs Erste – offen: Ob KI nicht nur gute Antworten, sondern auch gute Fragen stellen kann (KI, Coaching – und der ganze Rest).