KRITIK: Mal angenommen, man fragt Sie um eine Mediation an, und beim Auftragsklärungsgespräch zeigt sich, dass die Leitung keine Chance auf eine Klärung des Konfliktes sieht. Würden Sie diesen Auftrag annehmen?
Nein, ich habe mir die Situation nicht ausgedacht. Der Praxisfall wurde in der Zeitschrift für Konfliktmanagement (Mediation und Leitungsverantwortung bei Teamkonflikten) veröffentlicht. Ich finde es allemal mutig, auch gescheiterte Prozesse zu beschreiben, statt stets die beliebten „Best Practices“ zu demonstrieren. Vielleicht kann man aus ersteren sogar deutlich mehr lernen.
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Um die Situation genauer zu beschreiben: Eine Mitarbeiterin in einem Team hatte bei ihrer Vorgesetzten nach einer Mediation gefragt. Diese hatte abgelehnt, weil sie die Ursache für den Konflikt ohnehin bei dieser Mitarbeiterin sieht, selbst schon therapeutische Hilfe in Anspruch nimmt und Sorge hat, weiter bloßgestellt zu werden.
Die Mitarbeiterin wendet sich an die Personalleitung, und diese „stimmt nach einigem Zögern“ zu. Da sträuben sich mir schon die Nackenhaare. Die Vorgesetzte sieht kein Sinn in einer Mediation, die Personalabteilung zögert und gibt dann den Auftrag. Weil die oberste Leitung auf eine Klärung des Problems drängt.
Nun führt der Mediator Einzelgespräche, um sich ein Bild von der Situation zu machen und die weiteren Schritte zu planen. Das Gespräch mit der Vorgesetzten bestätigt den Widerstand. Sie lässt nur Einzelgespräche mit der stellvertretenden Leitung und der betroffenen Mitarbeiterin zu, nicht aber mit den anderen Teammitgliedern, stellt keinen geeigneten Raum für die Gespräche zur Verfügung und macht auch klar, dass sie nicht viel Zeit für das Vorgehen einräumen kann. Am Ende des Einzelgespräches aber erklärt sie, die Mediation aktiv unterstützen zu wollen.
Wieder ein Schritt, der mich verwundert. Lässt man sich als Mediator vorschreiben, nur mit Teilen des Teams vorab zu sprechen oder würden Sie darauf bestehen, mit allen zu reden?
Die stellvertretende Gruppenleiterin erklärt sich ebenfalls bereit, mitzumachen, aber verspricht sich keine Verbesserung der Situation. Und die betroffene Mitarbeiterin räumt ein, dass sie die Leiterin nicht akzeptiert und dass sie bewusst provoziere.
Klingt das für Sie, als seien die beteiligten Parteien an einer Lösung interessiert? Für mich erstaunlich: Der Mediator kommt zu dem Ergebnis, dass der Konflikt noch mit Hilfe der Mediation zu klären ist (Stufe 4 nach Glasl) und meldet das der Personalabteilung zurück. Diese gibt zwei Sitzungen à zwei Stunden in Auftrag, man wolle erst mal praktische Erfahrungen sammeln.
Der Mediator geht darauf ein, wohl wissend, dass in zwei Sitzungen keine Klärung herbeigeführt werden kann, und macht zur Bedingung, dass es nach den zwei Sitzungen ein weiteres Auswertungsgespräch mit der Personalabteilung gibt. In der ersten Sitzung fehlt eine Mitarbeiterin, sie weigert sich schlicht, sich noch einmal mit der Kollegin zu beschäftigen. Die Teamleitung zeigt dafür Verständnis, sagt aber zu, mit der Mitarbeiterin noch einmal zu reden.
In der Sitzung werden die Rahmenbedingungen für eine Mediation erläutert, der Konflikt selbst kommt noch nicht zur Sprache. Bevor der zweite Termin zustande kommt, eskaliert die Situation, die Leiterin erklärt, die Mitarbeiterin sei das Problem und benötige Behandlung. Diese wiederum beschwert sich beim Betriebsrat, meldet sich krank und will nicht mehr an der Mediation teilnehmen.
Der Mediator klärt in einer Supervision, ob hier eine Mediation noch Aussicht auf Erfolg hat, dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass der Konflikt doch eher bei Stude 7 bis 9 angekommen ist. Eine Fortführung ist daher wenig sinnvoll, hier muss von oben eingegriffen werden.
Beim zweiten Termin fehlt die Mitarbeiterin, der Mediator erklärt, dass er die Mediation beendet. Das teilt er auch der Personalabteilung mit, die, man höre, ohnehin nicht an eine Einigung geglaubt hatte, aber vermutet hatte, dass man bei arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen besser dastehen würde, wenn man zumindest den Versuch unternommen hatte.
Eine bittere Erfahrung, denke ich. Gleich mehrfach hätte hier der Mediator erkennen können, dass niemand in dem Geflecht weder an eine Verständigung geglaubt noch diese wirklich angestrebt hatte. Den Auftrag abzulehnen wäre vermutlich die einzig richtige Konsequenz gewesen. Die Autorin zieht aus dem Fall mehrere Schlussfolgerungen: Nur wenn die Führungskraft „von der positiven Wirkkraft überzeugt ist„, kann der Sinn der Mediation vermittelt werden. Das ist sicherlich nur allzu wahr. Ebenso wahr: Supervision kann helfen, die richtige Entscheidung zu treffen. Sie hätte vielleicht schon früher gute Dienste geleistet…