KRITIK: Geniale Idee: Weil Führungskräfte offensichtlich nicht führen können, ist es vielleicht besser, man delegiert den Job gleich an eine KI. – Satire? Vielleicht. Doch die Wirklichkeit überholt uns in letzter Zeit gerne rechts …
Die Hypothese des Autorenduos (Zwischen Empathie und Ekpathie): „KI wird flächendeckend in Führung gehen – und dies nicht nur sprichwörtlich.“ Eine ungeheuerliche These. Doch leben wir in Zeiten, in denen Dinge geschehen, die man vor Kurzem noch für unmöglich gehalten hätte. Und am großen Tor Führung haben schon andere gerüttelt und Einlass gefordert (Ein altes Missverständnis). Wer seinen Orwell (1984) gelesen hat, wird bei der These des Autorenduos mehr als hellhörig.
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„In der Gig Economy mit App- oder plattformbasierten Geschäftsmodellen wie bei Uber oder Lieferando arbeitet kein Beschäftigter mehr direkt mit einem Manager.“ Das ist also das Vorbild, das uns das Autorenduo präsentiert. „Stattdessen organisieren und kommunizieren Algorithmen die Zuweisung von Fahrgästen und deren Bestellung, sie übernehmen die Preisbestimmung, Routenplanung und das Controlling.“ Was für eine schöne neue Welt: „Keine herumschreienden Vorarbeiter mehr, keine biorhythmischen Schlagseiten bei Entscheidungen, keine Launen, die aus dem Privatleben an den Arbeitsplatz getragen werden und keine Ungleichbehandlungen von Lieblingen und anderen durch die Führungskraft.“
No woman, no cry
KI ist gnadenlos freundlich und erträgt auch die mieseste Sorte Mitarbeitende. Was für ein Glück, dass wir KI haben … könnte man lästern: No woman, no cry. Wo doch eh heutzutage kaum jemand mehr Führungskraft werden will, so das Autorenduo. Schlimmer noch: „Menschen, die nicht führen wollen, sind eben auch nicht so leicht zu führen wie Aufstiegswillige. Damit ist eine der Integrationsfunktionen von Organisationen verloren gegangen.“ Es droht ein Führungskräftemangel. Da kommt KI als Ersatz wie gerufen. Hat nicht schon der olle Ford davon geträumt? Alles läuft wie am Schnürchen, Charlie Chaplin hat das in seinem genialen, satirischen Film, Modern Times (1936), so schön auf den Punkt gebracht.
Jetzt könnte man einwenden, KI könne nur transaktionale Führung. Die Autor:innen nennen das „Malen nach Zahlen“: Jobs und Ziele verteilen, Zielerreichung kontrollieren – und Management by exception. Transformationale Führung könne sie nicht, behaupten viele. Doch Affective Computing beweise, dass KI auch Emotionalität könne. Sie könne Emotionen besser identifizieren als Menschen, sie unterstütze besser emotional und halte sich mit Lösungen besser zurück als Menschen. KI behalte den kühlen Kopf. KI als die bessere Führungskraft (Robo-Manager) – das scheint gerade so richtig in Mode zu kommen.
Alle Fünfe gerade
Doch an der Stelle halte ich es nicht mehr aus und muss mal meinen Unmut äußern. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die von mir geschätzten Autoren einseitig, also „picky“ argumentieren. Ich finde leicht gegenteilige Befunde, mit denen man zu konträren Ansichten gelangen kann. Beispiele, grundsätzlich Emotionen oder auch konkreter, Coaching betreffend (KI: Denken lassen oder selbst denken?). Für meinen Geschmack lassen die Autor*innen so etliche „Fünfe gerade“ sein. Unter anderem die fünf Kommunikationsaxiome von Watzlawick und Kollegen. Die Unterscheidung zwischen Sach- und Beziehungsebene: brauchen wir nicht? Warum gab es dann überhaupt Kritik am transaktionalen Führungsstil? Shannon und Weavers Signaltheorie der Kommunikation reicht dafür doch aus: Gesagt, getan, Befehl und Gehorsam. Die terrible simplificateurs verstehen offensichtlich nicht: „The Map is not the Territory“.
„Was bleibt für den Menschen übrig?“ fragt das Autorenduo. Und liefert leider nur blasse Antworten: Führungskräfte müssen
- die unentscheidbaren Entscheidungen entscheiden (Dilemma-Management)
- Identität gestalten, die Sinnfrage gemeinsam klären
- Expertinnen für räumliche und persönliche Distanz werden
Der Fahrersitz
Ich denke, hier machen es sich die beiden Autor:innen zu leicht. Die Frage der Arbeitsgestaltung (Wenn der Kopilot übernimmt …) kann man auch anders lösen als Führungskräfte durch KI zu ersetzen. Ich erinnere gerne an die Einführung von Gruppenarbeit in Unternehmen. Dafür musste Führung in den 1990er-Jahren neu erfunden werden. Stichwort: Transformationale Führung. Solche Argumente können den Autoren nicht neu sei (Päpstlicher als der Papst). Sonst müsste Autorin Gerpott fordern, die deutsche Bürokratie durch KI zu ersetzen. Ob sie das wollen würde? Ich glaube, kaum.
Unsinn: Der Mensch muss auf dem Fahrersitz bleiben, keine Frage. Auch in Sachen Bürokratie, wie seinerzeit das Schwerpunktheft der Organisationsentwicklung, dem der Beitrag von Fabiola Gerpott entstammt, schon zeigt. Und zwar nicht nur extern in der Legislative. Auch intern ist er als Gestalter gefragt. Und warum? Weil KI nicht intelligent ist, weil sie ein Zombi ist.