KRITIK: Immer wieder werden wir von Fachleuten darauf hingewiesen, wie unprofessionell es ist, Bewerber auf Basis eines unstrukturierten Interviews einzustellen. In der Tat dürfte das bei den meisten Unternehmen die häufigste „diagnostische Methode“ sein. Aber was bedeutet eigentlich „strukturiert“? Und ist es in jedem Fall besser?
In einem neuen Beitrag (Wenn Erfahrung nicht weiterhilft) weist Autor Uwe Peter Kanning nach, dass die erlebte Ähnlichkeit mit einem Bewerber einen hohen Einfluss auf die Einschätzung der Eignung hat und die Wahrscheinlichkeit, dass er eingestellt wird, sich deutlich erhöht. Andersherum formuliert: Erlebt mich der Interviewer als ihm wenig ähnlich, sinken meine Chancen, positiv beurteilt und damit eingestellt zu werden. Mit der tatsächlichen Eignung hat das vermutlich wenig zu tun. Zumal man ja kaum davon ausgehen kann, „dass der Interviewer selbst die beste alle denkbaren Besetzungen für die fragliche Stelle ist.“
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Noch eine Erkenntnis: Weder die allgemeine Berufserfahrung noch die Erfahrung in Sachen Einstellungsinterview (gemessen an der Anzahl durchgeführter Interviews) schützen vor einer solchen Verzerrung auf Grund erlebter Ähnlichkeit. Was ich nur bestätigen kann. Wie oft habe ich erlebt, dass Manager ganz begeistert von einem Kandidaten waren, weil dessen Vater an der gleichen Universität studiert hatte wie sie selbst.
Daher der Rat der Autoren: Abhilfe würden hoch strukturierte Interviews schaffen. Sowie ein Verfahren, wo mehrere Personen an der Einstellungsentscheidung beteiligt sind. Letzteres kann ich nachvollziehen: Wenn unterschiedliche Menschen einen Kandidaten kennen lernen, ist die Gefahr der Einstellung auf Basis erlebter Ähnlichkeit ganz automatisch geringer. Aber viele an einer solchen Entscheidung zu beteiligen, ist nach wie vor nicht so weit verbreitet, scheint mir.
Interviewleitfaden
Aber wie ist das mit dem strukturierten Interview? Auch das erklärt Autor Kanning in dem Beitrag, hier die Merkmale:
- Es wird eine Anforderungsanalyse im Vorfeld erstellt, bei der die relevanten Kompetenzen definiert werden.
- Es gibt einen Interviewleitfaden, wobei die meisten Fragen verbindlich jedem Bewerber gestellt werden.
- Jede Kompetenz wird mit mehreren Fragen erfasst.
- Es gibt ein Punktesystem mit verbindlichen Regeln, welche Antwort wie viele Punkte erhält.
- Die Anworten werden von mindestens zwei Personen bewertet.
Ich bin ein großer Freund biografischer Interviews. Sprich: Man fragt jeden Kandidaten nach seinen Erfahrungen. Je nach Alter angefangen bei Schule, Studium oder ersten beruflichen Stationen, lässt sich herausfordernde Situationen und seine Reaktion auf diese berichten und schließt daraus auf die (zu erfassenden) Kompetenzen. Für mich ist das auch ein strukturiertes Interview, nur kann ich hier nicht bei jedem Kandidaten die gleichen Fragen stellen. Und damit funktioniert auch das mit dem Punktesystem nicht. Überhaupt: Ratingsysteme sind für mich alles andere als objektiv, da kann man noch so viele Regeln formulieren.
Bleibt für mich maximal eine Teilstrukturierung. Vor allem deshalb, weil man je nach Kandidat mehr oder weniger ausführlich nachfragen muss, um genau zu verstehen, wie er vergangene Situationen bewältigt hat oder was genau sein Anteil an einer Lösung war. Die „Objektivität“ bei der Beurteilung schließlich kommt durch die oben geforderte Beteiligung mehrerer Entscheider zustande. Aber nicht, indem man mehrere Beurteiler Punkte vergeben lässt, sondern mehrere Menschen, die später mit dem Kandidaten zusammenarbeiten müssen, diesen kennen lernen. Und anschließend in einem sauber moderierten Prozess deren Einschätzungen abfragt.