INSPIRATION: Rolf Dobelli hat ein neues Buch geschrieben, und die Wirtschaftswoche daraus einen Vorabdruck veröffentlicht (Die Kunst des digitalen Lebens). Die Kernbotschaft: Der tägliche Nachrichtenkonsum verändert unser Gehirn, wir glauben, zu allem eine Meinung haben zu müssen und schaden uns damit selbst.
Als Beleg berichtet er von einer interessanten Studie. Forscher haben regelmäßig Hirnscans von Londoner Taxifahrern erstellt und diese mit denen von Busfahrern verglichen. Der Unterschied zwischen beiden: Die Taxifahrer müssen, um eine Zulassung zu bekommen, praktisch die Karte von London und alle Sehenswürdigkeiten im Kopf haben, die Busfahrer nur ihre jeweilige Route. Das Hirn der Taxifahrer veränderte sich (was unser aller Gehirn je nach Beanspruchung ohnehin tut), sie hatten deutlich mehr Nervenzellen im Hippocampus als die Busfahrer.
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Na und, könnten wir sagen, ist doch nicht weiter erstaunlich, irgendwo muss das Wissen ja bleiben. Stimmt, allerdings hatte das auch Nebenwirkungen. Die Taxifahrer sind schlechter darin, sich neue geometrische Zeichnungen zu merken. Soll heißen: Man kann nicht auf allen Gebieten ein Fachmann sein, tiefes Wissen führt in anderen Hirnregionen zu Einbußen. Womit wir zu dem Problem der Nachrichtenflut kommen.
Die Nachrichtenflut
Menschen, die häufig verschiedene Medien gleichzeitig konsumieren (und wie viele von uns fühlen sich jetzt ertappt, weil sie eine Nachrichtenquelle nach der anderen auf ihrem Smartphone aufrufen?), verlieren Hirnzellen im anterioren cingulären Cortex – das ist der Teil, der u.a. für moralische Überlegungen, Aufmerksamkeit und Impulskontrolle zuständig ist. Anders ausgedrückt: Die News-Junkies können sich schlechter konzentrieren und haben ihre Gefühle nicht im Griff.
Und dann habe ich mich in der Tat ertappt gefühlt. Dobelli behauptet, dass damit auch die Fähigkeit leidet, dicke Bücher und lange Artikel zu lesen. In der Tat, das fällt mir wirklich schwerer. Früher konnte ich mich in ein Buch vertiefen und vergaß die Zeit, heute werde ich oft nach wenigen Seiten müde. Selbst als ich letztens mit einem Jetlag zu kämpfen hatte und die wachen Stunden mit einem Roman überbrückte, erwischte ich mich dabei, dass ich nach einigen Seiten das Buch aus der Hand legen wollte, ehe mir einfiel, dass ich ja gar nicht müde war.
Der „Meinungsvulkan“
Ein weiteres Argument für den Rat, die Flut von Nachrichten einzudämmen: Jede Nachricht löst einen „Meinungsvulkan“ aus. Wir können gar nicht anders als emotional zu reagieren, und das stets entweder positiv oder negativ. Es gibt keine neutralen Gefühle. Damit entwickeln wir eine Haltung zu einer Nachricht, egal, wie viel Detailwissen wir dazu haben. Und wenn wir schon eine Meinung haben, dann äußern wir sie auch. Haben Sie schon einmal in einer Diskussion über den Brexit oder den Klimawandel gewagt zu sagen: „Dazu habe ich keine Meinung“?
Wer traut sich schon so etwas? Wäre aber konsequent: In Dingen, in denen ich kein fundiertes Wissen habe, zu bekennen, dass ich mir zu ihnen auch keine Meinung erlaube.
Und schließlich ein Argument für das Fokussieren auf die Gebiete, in denen ich mich auskenne: Wer beruflich erfolgreich sein will, sollte sich auf die Informationen konzentrieren, die er zur „Meisterschaft“ benötigt, und den Rest konsequent ausblenden. Keine neue Erkenntnis, hat Dobelli schon an anderer Stelle als „Kompetenzkreis„ beschrieben.
Ob Sie es glauben oder nicht – ich habe nach der Lektüre des Beitrages zwei Nachrichten-Apps von meinem Smartphone gelöscht, Facebook und Twitter sind von dort ohnehin schon lange verbannt. Was nicht heißen soll, dass ich jetzt gänzlich auf Nachrichten verzichten werde, dafür interessieren mich eben viele Dinge einfach zu sehr. Aber ich habe mir vorgenommen, noch häufiger mal zu bekennen, dass ich zu etwas keine Meinung habe. Könnte vielen anderen auch nicht schaden …