27. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Nachreifen

KRITIK: Phasen- oder Entwicklungsmodelle der Persönlichkeit gibt es viele, und irgendwie haben sie ihre Berechtigung. Aber helfen sie auch, wenn es darum geht, Selbstorganisationskompetenz zu beschreiben? Und brauchen wir „reifere“ Persönlichkeiten, damit das mit der Selbstorganisation funktioniert?

Da hat Andreas Zeuch in der managerSeminare einen interessanten Kommentar verfasst („Persönliche Reife ist kein Maßstab für Selbstorganisation“). Mal vorweg: Wir entwickeln uns ja tatsächlich im Laufe unseres Lebens weiter. Was aber bedeutet „weiter“? Ist jede Stufe unserer Entwicklung immer eine „höhere“ Stufe? Werden wir also von Stufe zu Stufe „reifer“ – im Sinne von erwachsener, vernünftiger, abgeklärter, reflektierter? Oder bleiben wir sogar auf einer Stufe stehen, während sich andere weiter entwickeln, höhere Stufen erreichen und damit dem höchsten Niveau näher kommen als andere?


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Höher, weiter, schneller?

So ein ähnliches Gedankenmodell steckt hinter der Diskussion, wenn es darum geht, ob Mitarbeiter „reif“ genug sind für Selbstorganisation. Natürlich sind es all diejenigen, die wissen, wie Selbstorganisation funktioniert, und aus „ihrer besonders reifen Position“ stellen sie klar, „dass die Menschen nachreifen“ müssen. Und natürlich wissen sie auch, wie man die Menschen zur Reife führt.

Scheuch hat eine ganze Reihe von Kritikpunkten an diesem Ansatz. So seien Menschen nicht durchgehend auf einer „Reifestufe“. Je nach Thema, je nach Lebenssituation und Umgebung sind wir mal mehr und mal weniger reif in unserem Verhalten. Sodann stellt sich die Frage, wer denn Reife von außen überhaupt beobachten kann und beurteilen darf? Berater? Coachs? Das Top-Management? Nach welchen Grundlagen und Kriterien? Wie stellt man sicher, dass die Beurteilenden diese „Reife“ haben? Wer beurteilt also die Beurteiler?

Sodann ist das Verhalten von Menschen ja immer ein Abbild dessen, was von ihnen verlangt wird. Wenn also jemand Teil des hierarchischen Systems bleiben will, muss er sich auch so verhalten, wie es von dessen Regeln vorgegeben wird. Es werden Zielerreichungen belohnt, dann wäre es unvernünftig, ein Verhalten zu zeigen, das man selbst als als sinnvoller erlebt, aber keine Prämie bringt. Wenn individuelle Leistungen honoriert werden, wäre ein Handeln, das vielleicht dem Großen und Ganzen besser dient, ebenso unvernünftig. Wie soll also jemand reifes Verhalten zeigen, wenn solches nicht verlangt wird?

Überheblichkeit

Was zur letzten Frage führt: Wenn Unternehmen nun Mitarbeiter zum „Nachreifen“ schicken, also in Trainings oder Coachings und diese kehren in „unreife“ Strukturen zurück, was sollen sie dann dort? So stellt sich die berechtigte Frage: Ist das Gerede von „die Mitarbeiter sind nicht reif genug für eine Organisation mit sich selbst organisierenden Teams „nicht einfach nur eine wohlfeile Ausrede … um alles beim Alten belassen zu können?“

So wird es in vielen Fällen wohl sein. Sodass die Konsequenz meines Erachtens nur lauten kann, zuerst die Strukturen zu ändern und dann denjenigen, die sich schwer damit tun, Hilfestellungen anzubieten. Nicht, weil sie nicht reif genug sind, sondern weil sie jahrelang anders sozialisiert wurden. Wenn jemand in einer Diskussion mit vielen unterschiedlichen Meinungen nach dem Vorgesetzten ruft, damit dieser entscheidet, ist genau das von ihm stets verlangt worden. Alternative Entscheidungsmethoden kennt er nicht. Das ist kein Problem fehlender Reife, sondern fehlender (Weiter)Bildung oder Erfahrung.

Was so an dem Konzept „fehlende Reife“ stört, ist die darin zum Ausdruck kommende Überheblichkeit. Wer anderen keine nötige Reife bescheinigt, stellt sich über sie und wird schon allein deshalb Widerstand auslösen. Ich bin auch nicht der Meinung, dass hierarchische Organisationen eine Vorstufe zur Selbstorganisation sind. Diktaturen sind keine Vorstufe zur Demokratie. Vielleicht hilft das „Metamorphose“-Bild von Andreas Zeuch. Veränderungen vergleicht er mit dem Häuten einer Raupe: Es wird etwas anders, vielleicht besser, aber es bleibt eine Raupe mit den gleichen Strukturen und Formen. Eine Transformation hingegen sei wie die Verwandlung in einen Schmetterling: Es entsteht wahrhaft Neues.

Wobei das Bild auch nicht so ganz passt. Ich glaube durchaus daran, dass aus einer hierarchischen Organisation in kleinen Schritten eine andere Form entstehen kann, ohne die große und finale Häutung. Und leider wird sich so mancher Schmetterling als verkleidete Raupe herausstellen.

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